'This is the Sibyl's Cave': Prophezeiung und Fiktion bei Mary Shelleys The Last Man - Rebekka Rohleder - Universität Hamburg
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'This is the Sibyl's Cave': Prophezeiung und Fiktion bei Mary Shelleys The Last Man
In Mary Shelleys 1826 veröffentlichtem Roman über das Aussterben der Menschheit an einer Pestepidemie und mehreren Naturkatastrophen im späten 21. Jahrhundert, The Last Man, findet der auffallendste Einbruch des Fantastischen in eine bis dahin realistisch gezeichnete erzählte Welt nicht in der fernen Zukunft statt, sondern in der Gegenwart, in der die „Author’s Introduction“ angesiedelt ist, an einem genau bestimmten Tag (8. Dezember 1818) und Ort (Neapel). Die Erzählerfigur dieser Herausgeberfiktion berichtet nämlich, wie sie an diesem Tag die Höhle der Sibylle entdeckt habe und darin Blätter und Baumrinde mit Prophezeiungen in verschiedenen Sprachen, die sie mitgenommen und übersetzt habe. Diese Textfragmente hätten beim Zusammenfügen den Roman ergeben.
Das eigentlich Fantastische ist also dessen Erzählsituation selbst: Die Prophezeiungen, die einer aus Virgils Äneis, also einem anderen literarischen Text, entnommenen Prophetin zugeschrieben werden, werden von der Erzählerfigur zu einem Text gemacht, mit dessen Charakter als Fiktion oder ernstzunehmende Prophezeiung sie sich niemals explizit auseinandersetzt. Der Status des Erzählten innerhalb der fiktionalen Welt bleibt aber auch nach der „Author’s Introduction“ problematisch, wenn Lionel Verney, der Erzähler des Romans, mehrfach während des Erzählens zu vergessen scheint, dass er eigentlich der letzte Mensch ist und zum Beispiel den Leser direkt anspricht, den es ja aus seiner Sicht gar nicht mehr geben dürfte. Andererseits gibt es durch den Vorhersagestatus des Textes durchaus Leser, sogar innerhalb des Rahmens der „Author’s Introduction“ – nur sollte Verney das nicht wissen können. Die Erzählerfigur der Rahmenhandlung, deren eigener Beitrag zum Text ohnehin von unbestimmter Größe ist, weiß das dagegen sehr wohl.
Der Effekt dieser Erzählsituation funktioniert als eine Art Vexierbild: Es wird Distanz geschaffen zwischen der gegenwärtigen und wirklichen Welt und der zukünftigen und fiktionalen, wenn die Erzählerfigur der Rahmenhandlung aus gefundenen Manuskriptfragmenten einen Text zusammenübersetzt und -ediert. Es wird aber auch Nähe geschaffen – es soll sich ja um eine Prophezeiung handeln, also um eine im Roman als nichtfiktional betrachtete Textsorte, und gefunden wird die Prophezeiung in der realen Welt. Dieses Spannungsfeld ermöglicht es Shelley mit relativer Unverbindlichkeit gesellschaftspolitische Szenarien durchzuspielen, die einerseits sehr weit weg sind von der Realität, die andererseits aber durchaus direkten Bezug auf Debatten ihrer Zeit haben.
---Beiträge zur Fantastikforschung im Spiegel der Fachdisziplinen
Es ist unübersehbar: Fantastik ist zum Dreh- und Angelpunkt der Populärkultur geworden. Die Erfolge der fantastischen Genres sind omnipräsent: Avatar, Harry Potter, Alice im Wunderland und viele andere. Tolkiens Herr der Ringe und Lewis‘ Chroniken von Narnia zählen seit langem als Buch-Bestseller, die allerdings jüngst vom Erfolg der Harry-Potter- und der Twilight-Saga überboten wurden. Umso verwunderlicher scheint es, dass gerade dieser Bereich noch immer um akademische Akzeptanz ringt.
Dank der Gründung der Gesellschaft für Fantastikforschung e. V. letztes Jahr in Hamburg existiert nun ein Basislager, von dem aus Forscher ihre Expeditionen in das weite Feld starten können.
Auf genau diesem Grundstein möchte die Vortragsreihe aufbauen, das Feld erschließen und es in seiner wissenschaftlichen Repräsentation stärken.
Warum sind Twilights Edward und Bella so unwiderstehlich? Wie prägt Fantasy unsere Kinder? Welche Rolle spielen die Medien? Und wie wirkt sich dies auf unsere Alltagswahrnehmung aus? Formt fantastisches Denken vielleicht sogar das Bild unserer Städte? Welche Perspektive haben Theologie und Soziologie auf die Phänomene der Fantastik?
Diesen Fragen geht die Reihe nach, um die Fantastik aus den verschiedensten Blickwinkeln der unterschiedlichen Fachdisziplinen zu beleuchten und so einen Teil der „Fremden Welten“ in Zukunft auf der Karte der Wissenschaft zu verzeichnen.