00:00:02
Vielen herzlichen Dank für die sehr freundliche und auch viel zu ausführliche Einführung.
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Sie haben den Protest gehört und insbesondere vielen Dank für die Einladung.
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Natürlich bin ich der gern gefolgt. Meine Damen und Herren,
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es könnte ja auf den ersten Blick so aussehen,
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als hätten wir es in unserer Ringvorlesung heute mit einer lokalen Größe zu tun.
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Ernst Kassierer, der von 1874 bis 1945 gelebt hat,
00:00:32
wurde nämlich im Mai 1919 gleich nach der Gründung
00:00:36
der Hamburgischen Universität als Ordinarius der Philosophie
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hierher berufen
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Als sie gerade hier in den Saal kamen, sind sie
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an der Ernst-Kassierer-Büste vorbeigegangen. Jedenfalls gilt das für diejenigen,
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die den Saal durch die Tür jetzt rechterhand von mir betreten haben.
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An der Büste vorbeigegangen, die daran erinnert,
00:01:00
dass dieser Denker von 1919 bis 1933 an dieser Universität gewirkt und seine Gedanken entwickelt hat,
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den wesentlichen Teil seines Werkes möchte ich dazu sagen.
00:01:13
Wenn Sie diese Büste bisher noch nicht über die Schwelle ihrer Aufmerksamkeit haben kommen lassen,
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dann ist der heutige Abend Und insbesondere auch der Empfang natürlich,
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im Anschluss an meinen Vortrag sicher eine gute Gelegenheit, dieses Defizit zu beheben.
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Und sie haben dabei auch Gelegenheit, die schon häufiger geäußerte Einsicht aufzufrischen,
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das Kunstwerke nicht schön, ja sogar,
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dass sie gemessen am Kriterium etwa der Adäquanz nicht einmal gelungen sein müssen,
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um uns etwas zu bedeuten. Mir zum Beispiel,
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die ich ein Jahrzehnt meines Lebens an eine Gesamtausgabe der Werke
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ernst Kassierers gesetzt habe und dabei die ganze Zeit Den guten Grund,
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dies zu tun, immer nur bestätigt gefunden habe,
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bedeutet es sehr viel,
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dass diese unter ästhetischem Gesichtspunkten subalterne Büste hier hängt.
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Und es vergeht keine Semesterwoche, in der ich mich beim
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Betreten des Hörsaals nicht freue, dass sie hier hängt.
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Ich hoffe, dass ich davon auch etwas jetzt auf sie
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übertragen kann und sie dann demnächst die Büste auch über die Schwelle ihrer Aufmerksamkeit heben.
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Was ich aber mit dem Hinweis auf diese Büste eigentlich sagen will,
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hier in Hamburg können Sie sich mit dem Philosophen Ernst Kassierer
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dessen Werk man natürlich nach dem Abschluss der Hamburger Ausgabe seiner Werke in der erforderlichen Leichtigkeit überall in der Welt studieren kann.
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Im Kontakt zu einem Genius Lotzi, besonders intensiv auseinandersetzen.
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Sie können hier in Hamburg zum Beispiel auf den Spuren Kassierers spazieren gehen und dabei nicht nur im Ernst Kassierer-Hörsaal,
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der mir jetzt im Rücken liegt,
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dem Hörsaal A im Hauptgebäude des Eltmann Simos Allee 1,
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Den Raum identifizieren, in dem Passierer im Juli 1930,
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als Rektor dieser Universität, die Festrede zum Jahrestag der Weimarer Verfassung hielt.
00:03:29
Überwandlungen der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geschichte.
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Apropos Rektor dieser Universität, die Leishalle, die damals noch einfach Musikhalle hieß.
00:03:44
Gehört auch zu den Stationen eines möglichen Kassiererspazierganges.
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Dort war Kassierer nach seiner Wahl zum Rektor der Universität,
00:03:52
im Oktober 1929,
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feierlich ins Amt eingeführt worden und hatte in dem anschließenden Festakt
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die Rede gehalten über Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs
00:04:08
Sie können auch hier jenseits des Campus im Pferdestall am damaligen Bornplatz,
00:04:14
dem heutigen Alliendeplatz, wo jetzt die Soziologie und die Politikwissenschaft residieren,
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die Etage noch ausmachen,
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in der das ehemalige philosophische Seminar unter der Leitung Kassierers untergebracht war.
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Und sie können bei einem Gang um die Außenalster,
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jenseits der Krugkoppelbrücke in der Blumenstraße 26,
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das Haus noch sehen,
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in dem Kassierer als Professor der Philosophie mit seiner Frau Toni
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und seinen Kindern
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gewohnt hat
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Und wo Toni Kassierer 1928,
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als ihr Vater einmal zu Gast war und sie mit ihm im Garten stand,
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sich von einem ihrer direkten Nachbarn, den Zuruf anhören durfte,
00:05:00
man sieht ja geradezu, dass die Herrschaften nach Palästina gehören.
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Wenn Sie dies wissen, meine Damen und Herren,
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haben Sie auch einen Fingerzeig darauf,
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wieso ernst Kassierer und seine kluge Frau 1933 nach dem Ausgang
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der Wahl und der Einsetzung Hitlers zum Kanzler,
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keine lange Schrecksekunde brauchten,
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um ihre Konsequenz aus einer problembewussten Beobachtung
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zu ziehen
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Sodass sie, als im April das Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,
00:05:38
das sogenannte Gleichschaltungsgesetz,
00:05:42
mit dem jüdische Gelehrte aus den deutschen Universitäten entfernt werden konnten,
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in Kraft trat, Hamburg und Deutschland bereits verlassen hatten.
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Sie waren schon im März 1933 außer Landes gereist.
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Und das wäre für mich der erste Punkt,
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an dem man innehalten und markieren könnte,
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was man im Sinne der Frage,
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wie weiter mit von Kassierer lernen kann
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Ich jedenfalls würde etwas darum geben,
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wenn ich in einem vergleichbaren historischen Augenblick, über die Illusionslose Beobachtung,
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die sichere Urteilskraft und die Geistesgegenwart verfügen würde,
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die Kassierer 1933 zwischen Januar und März gezeigt hat.
00:06:32
Soviel nur, apropos Blumenstraße 26 und ich führe von da
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aus den Kassiererspazierern noch eine Station weiter.
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Wenn Sie von der Blumenstraße die kurze Strecke in die Heilwichtstraße
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gehen,
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kommen Sie an die Nummer
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Barburghaus. Das ist die ehemalige Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg.
00:06:54
Das kann man heute noch im Backstein an den Buchstaben kbw
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erkennen. Zu deren bevorzugten Nutzern Kassierer gehörte.
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Und es gehört zu den Aspekten meiner Arbeit hier in Hamburg,
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die ich als eine ideelle Gehaltszulage empfinde,
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dass das philosophische Seminar seine Examensfeier,
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seitdem wir uns entschlossen haben,
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dass es sie nach den Formlosigkeiten der 70er wiedergeben soll,
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im Warburghaus begeht
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Ich könnte dem noch das eine oder andere Detail zum Thema Ernstkassierer in Hamburg hinzufügen.
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Aber letztlich würde doch alles darauf hinauslaufen müssen, dass Kassierer keineswegs
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einer Hamburger Lokalgröße war, sondern ein Philosoph von Weltgeltung.
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Er war nicht nur einer der größten Gelehrten, die Hamburg
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in seiner gesamten kurzen Universitätsgeschichte bisher für sich gewinnen konnte.
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Er war auch einer der letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts.
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Er hatte neben der Philosophie die Fächer Jura, Germanistik,
00:08:10
Psychologie, Mathematik, Biologie,
00:08:13
Chemie und Physik
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Und konnte auf dieser Basis mit seinem Lebenswerk,
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die heute geläufige und so häufig resignativ verwendete Formel von den zwei Kulturen,
00:08:28
Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, die da Kommunikationslos gegeneinander stehen.
00:08:36
Ebenso programmatisch bestreiten, wie praktisch in seinem Werk widerlegen.
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Aufgrund seiner gediegenen Kenntnisse in den Geisteswissenschaften,
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wie in den Kulturwissenschaften,
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hat er mit seiner Theorie der Kultur
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auch ein Beispiel interdisziplinären Arbeitens gegeben
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Der Vollständigkeit halber sei. Er ist heute Abend wenigstens in
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aller Kürze erwähnt. Diese Interdisziplinarität hat ihre Verkehrsformen insbesondere in
00:09:06
der engen Kooperation mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg und den
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dort wirkenden ebenfalls Interdisziplinär eingestellten Kunsthistorikern gefunden.
00:09:22
Auch eine zweite Antwort und damit die erste Wissenschaftsbezogene Antwort auf
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die Titelfrage dieser Ringvorlesung.
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Hätte sich damit indirekt und völlig zwanglos
00:09:34
bereits ergeben
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Mit Kassierer machen wir so weiter, dass wir uns an
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seinem Arbeitsethos und an der reichen Instrumentierung seiner theoretischen Neugierde ein Beispiel nehmen.
00:09:48
Dass wir eine ebenso breite und gediegene wissenschaftliche Theoriebildung erwerben und
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ebenso sachhaltig philosophieren wie er,
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dann haben wir auch die Chance für die offenen Fragen der Gegenwart, etwas herauszukriegen.
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Das wäre ein guter Vorsatz, der aber,
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das muss man fairerweise zugeben,
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nicht erst an den Curricula der neuen Studiengänge nach Bologna
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kläglich scheitern müsste
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Aber auch für Ernstkassierers philosophischen Ansatz ließe sich unter der Titelfrage,
00:10:24
wie weiter mit so manche Verwendungsweise ausmachen. Je nach der Antwort,
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die man auf die Frage nach Charakter und Ausrichtung
00:10:35
nach den dominierenden Erkenntnisinteressen und Perspektiven seiner Theorie gibt,
00:10:41
wird auch die systematische Erwartung, wie es mit ihnen weitergehen,
00:10:45
wie man mit ihm ein Stück weiterkommen könne, unterschiedlich ausfallen.
00:10:51
Die Frage muss also zunächst sein,
00:10:53
was ist Ernstkassierers Philosophie der symbolischen Formen
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Die erste, methodisch am nächsten liegende Antwort lautet,
00:11:03
Kassierers Theorie ist eine umfassende Theorie des Symbolischen. Sie enthält den Ansatz,
00:11:11
die Sphäre der Bedeutung als wesentlich für das Selbstverständnis und den
00:11:16
philosophischen Begriff des Menschen zu erkennen und das Potenzial,
00:11:22
die Funktionen und Moddi der Erzeugung von Bedeutung indifferenzierter Weise zu untersuchen,
00:11:30
und zu helfen,
00:11:31
sie in ein integrales Konzept
00:11:33
zu fassen
00:11:35
Kassierers Ansatz ist nach meinem Eindruck vom Stand der Bedeutungstheoretischen
00:11:39
Zeichen theoretischen Symboltheoretischen Ansätze und Debatten der Gegenwartsphilosophie.
00:11:46
Nicht allein in diesem oder jenem Detailproblem anschlussfähig,
00:11:52
sondern könnte meines Erachtens auch hilfreich sein,
00:11:55
weil seine Begriffe von Symbolisierung,
00:11:59
seine Funktionsanalysen von Symbolisierung,
00:12:05
gegen immer wieder einmal
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aufkommende vermeintliche Alternativen
00:12:08
aufgeboten werden können
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Weil mit anderen Worten dieser Ansatz, Sprache und Bild,
00:12:19
Rieten und Artefakte, Gedanken und Handlungen, kurz epistemische,
00:12:26
praktische, ästhetische und emotionale Leistungen gleichermaßen zu fassen,
00:12:32
versucht und in ein Umgreifendes Konzept zu integrieren beansprucht.
00:12:41
Die daraufhin naheliegende zweite Antwort, die auch der vom Autor selber
00:12:45
in den Schriften der 20er Jahre verwendeten Terminologie nahe bleibt,
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Könnte gleichsam, wie die Bildung konzentrischer Kreise,
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wenn man einen Stein ins Wasser geworfen hat, weiter ausgreifen.
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Ernst Kassierers Philosophie der Symbolischen Formen ist eine auf den Charakter
00:13:05
der Erzeugung von Bedeutung fokussierende Konstitutionstheorie menschlicher Wirklichkeit.
00:13:12
Eine bedeutungstheoretische Lehre von der auf allen denkbaren Ebenen geleisteten Gestaltung
00:13:19
der Wirklichkeit durch den Menschen. Die dritte in der Sache ebenso naheliegende,
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die sich im Anschluss an die zweite Antwort geradezu aufdrängt,
00:13:33
und wäre dann auf die Einordnung dieses Ansatzes und seiner Erträge in geläufige,
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philosophische Disziplinen ausgerichtet.
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Sie ist vom Autor selber 1944 in seiner Conceasen-Gesamtrevision,
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dem Essay On-Man, ausdrücklich und stark exponiert worden und lautet,
00:13:58
die Philosophie der symbolischen Formen ist eine philosophische Anthropologie.
00:14:04
Der Mensch ist das Animal-Symbolikum,
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das Symbol erzeugende und symbolverstehende Wesen
00:14:12
Was für die großen Anthropologien des 20. Jahrhunderts ohne Ausnahme zutrifft,
00:14:18
dass nämlich Anthropologie und Kulturphilosophie zwei verschiedene Sachtitel für ein und
00:14:24
dasselbe philosophische Unternehmen sind, lässt sich an Kassiererstheorie exemplarisch studieren.
00:14:31
Hier gilt, das System aller möglichen Weisen der Sinnerzeugung durch
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Symbolisierung ist das, was wir die menschliche Kultur nennen.
00:14:44
Und der Mensch ist das Wesen,
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das seiner Natur nach nicht anders als in Kultur leben kann
00:14:51
und deshalb Kultur in allen ihren Formen als seine Lebensphäre
00:14:56
hervorbringen muss
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Wir sind Fische im Wasser der Kultur,
00:15:06
sagt der ansonsten in vielen so gut orientierte Sozialanthropologe Michael Thomasello
00:15:12
und zeigt mit diesem kompletten Fehlgriff hoffentlich nur,
00:15:16
dass er keine glückliche Hand in der Wahl von Metaphern für seine Forschungseinsichten hat.
00:15:24
Das hätte Kassierer nicht passieren können, so durchdringt wie ihm klar war,
00:15:29
dass Kultur nicht das Element ist,
00:15:32
in dem wir uns irgendwie vorfinden,
00:15:34
sondern dass es die Menschen selbst sind,
00:15:38
die die Kultur erst hervorbringen
00:15:42
Sehr häufig fast, Kassierer diesen von Grund auf und in allem,
00:15:48
kulturellen Charakter des Menschen, in Formulierungen,
00:15:51
die den menschlichen Geist als den Ursprung und das Movents der Kultur begreifen.
00:15:58
Und macht sich darin,
00:16:00
wie man noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts beobachten konnte,
00:16:04
missverständlich,
00:16:06
weil nicht jeder Hörer und Leser sofort realisiert,
00:16:10
dass für seinen Begriff des Geistes genau das gilt,
00:16:15
was Kant in der Einfügung einer Widerlegung des absoluten Idealismus
00:16:20
in die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft von der
00:16:23
menschlichen Vernunft
00:16:24
geltend gemacht hat
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Was er in seiner Kritik der Vernunft analysiert,
00:16:32
sind Funktionen, zu deren intrinsischer Bestimmung ist,
00:16:36
deshalb gehört Funktionen zu etwas und damit als Funktionen auf etwas gerichtet zu sein.
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Eine sehr schlanke Wiederlegung des Idealismus muss man immer wieder sagen.
00:16:53
Und so auch Kassierer, was er analysiert,
00:16:56
ist kein Geist, der über den Wassern schwebte,
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sondern einer,
00:17:01
der sich immer schon und immer nur als Formung der
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bereits mitgedachten Materie artikuliert
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Genauso wie Kassierers großer philosophischer Gewehrsmann kannt,
00:17:14
in seinem Funktionstheoretischen Ansatz die Vernunft als die endliche Vernunft,
00:17:19
eine sinnlich vernünftigen Wesens begreift.
00:17:22
So begreift Kassierer selbst den menschlichen Geist,
00:17:27
als die formbildende Kraft eines sinnlich geistigen Wesens.
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Wo er den Geist anfügt, den Geist betont,
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da verwendet er eine Abriviatur.
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Er spricht in der Sache vom menschlichen,
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stets in ein sinnliches Medium eingebetteten Geist
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Ich werde Ihnen gleich zum Beleg die klassische Stelle vorführen,
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in der Kassierer die Funktion der Symbolisierung bestimmt und dabei an
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der konstitutiven Bindung des Geistes an sinnliche Medialität keinen Zweifel lässt.
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Ich möchte Ihnen nach dieser Skizze möglicher sehr sinnvoller Antworten auf unsere Frage,
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die sich auf den Charakter und damit auf den weiterführenden Vektor dieser Theorie beziehen.
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Heute Abend diese Philosophie der Kultur,
00:18:24
die als philosophischer Anthropologie zu verstehen ist vorstellen,
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indem ich dabei eine vierte Antwort auf die Ausgangsfrage gebe.
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Eine Antwort, die bisher in der Kassiererinterpretation noch nicht in
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der wünschenswerten Prägnanz und Entschiedenheit gegeben worden ist.
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Diese Theorie des Menschen als eines kulturellen Wesens ist eine Philosophie der Freiheit.
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Wenn ich Ihnen hier die Freiheitsphilosophische Dimension dieser Theorie anpreise,
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dann hat das den Vorzug,
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dass darin zugleich die Grundzüge auch der möglichen anderen Antworten
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inklusiv sind
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Denn ich muss ihnen zunächst in einem ersten Teil
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eine Skizze des Unternehmens einer Philosophie der Symbolischen Formen geben,
00:19:15
wenn ich in einem zweiten Teil diese Theorie als Theorie der Freiheit kenntlich machen und wenigstens andeuten will,
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auf welche Probleme unserer gegenwärtigen Freiheitsdebatte Kassierers Theorie meines Erachtens die deeskalierende Antwort bereithält.
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Ich greife vor, indem ich sage,
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der große Vorzug dieser Theorie der Freiheit ist darin zu sehen,
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dass sie anders als viele andere Freiheitstheorien konkret ist.
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Es ist eine realistische Theorie der Freiheit, die sich an
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die Hervorbringungen des menschlichen Geistes hält. Und in allen ihren Ausprägungen,
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den pragmatischen Aspekt der Realisierung von Freiheit ausdrücklich zu erfassen versucht.
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Ich will dieses Freiheitskonzept in einem dritten Teil noch einmal kurz exemplarisch machen,
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indem ich an ein Ereignis erinnere,
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das mitten in Cassierers Hamburger Zeit fällt,
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1929 Die navosa Disputation, in der sich der Denker der Kultur,
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der am Tor zur Welt philosophierte und der Wanderer auf Schwarzwälder,
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Holzwegen, Argonal gegenüberstanden.
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Zu meinem ersten Teil, Anthropologie als Kulturphilosophie.
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Kassierer hat einen aufs Grundsätzliche und aufs Ganze gehenden,
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weiten Begriff von Kultur,
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der die vielfach verbreitete Konzentration des Kulturverständnisses auf die Spitzenprodukte der Hochkultur
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als ein Element in sich enthält und sich in seiner Exzension,
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aber eben nicht auf dieses eine Element beschränkt.
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Der Begriff der Kultur kulminiert zwar in den großen Werken.
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In den Sprachen, die eine abstrakte und versatile Ich-Funktion ausprägen.
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In den monotheistischen Religionen, die in der frontalen Konfrontation des Individuellen Ichs
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mit dem einen Gott die ethische Idee der Verantwortung aufkommen lassen.
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In den sprachlichen und bildlichen Kunstwerken, in den hochkomplexen Erkenntnissen
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der Wissenschaft, in den liberaldemokratischen Verfassungen.
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Sie kulminiert in diesen Spitzenleistungen und ihrer systematischen Vernetzung.
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Aber sie geht nicht darin auf. Kultur ist auch
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schon auf den Entwicklungsstufen ganz und gar Kultur,
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auf denen Ornomato poetische Wortbildung dominiert,
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wie etwa die Benennung eines Flusses nach dem Klang seiner Wellen,
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Mississippi.
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Oder wo das Zahlwort für die Zahl 20
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bedeutet,
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ein Mann ist fertig
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Nämlich so gedacht, dass man einmal an den zehn Fingern
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und zehn, zehn entlanggezählt hat, dann hat man 20.
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Und dann ist der Mann umrundet. Wo Augenblicksgötter ihre magische Macht auf den ausüben,
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der ihnen begegnet, wo der Bandzauber durch den Fetisch
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wirkt und das rituelle Ornament noch nicht ästhetisch wahrgenommen wird,
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sondern als Hindernis die Schwelle zu übertreten.
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Nicht zuletzt, Kultur ist auch im unscheinbaren Vollzug des Alltags
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schon ganz und gar Kultur
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Und dies allein schon dadurch, dass auch der Alltag sprachlich vollzogen wird.
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Dieser denkbar weit gefasste Kulturbegriff hat seine methodische Grundlage,
00:23:16
man kann sagen, seinen methodischen Gegenhalt in der Weite des Symbolbegriffs.
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Im Unterschied zu einem spezifischen Begriff des Symbolischen,
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wie wir ihn etwa in der Kunstgeschichte oder in der Literaturwissenschaft antreffen,
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legt Kassierer, wie er sagt, ein allgemeineres Verständnis zugrunde,
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nämlich Symbol ist der Ausdruck eines Geistigen,
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durch sinnliche Zeichen und Bilder in seiner weitesten Bedeutung
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Das war ein Zitat. Kassierer begreift Symbolisierung,
00:23:54
generell als Vermittlung von sinnlichem und geistigem, eine Vermittlung,
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die sich in den unterschiedlichsten Materialien oder Medien abspielt,
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in artikuliertem Laut, in Bildern, in materiellen Dingen,
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in Ritualen, Zeremonien und Techniken,
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überhaupt in Handlungen aller Art,
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in Institutionen,
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in Formeln und so weiter,
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ein Symbol liegt demnach in jeder Art der Versinnlichung von Sinn
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Kassierer begreift mit seiner Theorie der kulturellen Symbolismen,
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das Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Sinn,
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als Einheit von geistigem Bedeutungsgehalt und sinnlichen Zeichen,
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so nennt er das.
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Eine Pointe dieser Theorie liegt darin,
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dass Symbolisierung nach diesem Verständnis nichts Seltenes und Spezielles ist,
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das in abgehobenen Bereichen hier und dort einmal stattfände.
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Sie ist vielmehr
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die durchgängige Vermittlung unserer Welt
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Die symbolische Selbsttätigkeit des Menschen hält sich nach Kassierers Verständnis durch.
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Von der elementaren Wahrnehmung bis zur dann höchst entwickelten Werken.
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Was auch immer wir mit Sinn und Verstand tun,
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wir bewegen uns in Symbolen.
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Schon alles sinnlich wahrgenommene ist, nach dieser Einsicht als sinnliches Erlebnis
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immer schon Träger eines Sinnes.
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Das Wahrgenommene wird augenblicklich als sinnvoll wahrgenommen
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Cassierers Symbolbegriff und damit sein ganzer Ansatz hat somit den Anspruch klarzumachen,
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dass für uns als Wesen,
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die wir unsere Wirklichkeit und sei es nur im Sprechen gestalten,
00:25:50
im Prinzip alles zum Träger von Bedeutung werden kann.
00:25:56
Ja, und eigentlich werden muss. Mit diesem grundsätzlichen und ganz allgemeinen
00:26:02
Programm ist von vornherein dem Verständnis der ganzen Komplexität und Differenzierung,
00:26:10
in der uns die Kultur vorliegt,
00:26:12
in der uns Kulturen vorliegen,
00:26:14
eine systematische Chance eröffnet
00:26:17
Denn von Anfang an haben wir es hier mit einem Konzept
00:26:20
der historischen und aktuellen Vielfalt, kultureller Formen zu tun.
00:26:26
Kultur ist demnach, als Monokultur nicht denkbar,
00:26:30
sondern sie ist immer schon durch interne Pluralität charakterisiert.
00:26:34
Sie prägt sich aus in einer Vielfalt von Gestaltungsweisen.
00:26:39
Aber sie ist darin eben auch kein beliebig auf häufbares Aggregat,
00:26:46
sondern ein System von Gestaltungsweisen, sagt Kassierer,
00:26:50
sehr bewusst,
00:26:51
dass er diesen Ausdruck von Kant
00:26:53
aus der dritten Kritik übernimmt
00:26:58
Was Kassierer symbolische Formen nennt, sind die regelmäßig wirkenden,
00:27:03
typischen Weisen, von Symbolisierung, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet ausarbeiten.
00:27:13
Man kann eigentlich sagen, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet gewissermaßen institutionalisieren. Und er definiert in einer Formulierung,
00:27:23
die ich ihnen gerade schon zu Anfang angekündigt habe und aus der
00:27:27
ich mich auch zur Bestimmung des Symbolbegriffs zwischendurch schon bedient habe,
00:27:33
jetzt zitiere ich,
00:27:37
Unter einer symbolischen Form soll jede Energie des Geistes verstanden werden,
00:27:43
durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes,
00:27:47
sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird.
00:27:52
Zitat Ende. Das ist die klassische Stelle zur Bestimmung der symbolischen Form.
00:28:00
Hier haben wir den entscheidenden Hinweis auf die Verknüpfung von Geist und
00:28:05
sinnlichem Medium, geistiger Bedeutungsgehalt und konkretes, sinnliches Zeichen.
00:28:12
Fungieren immer zusammen in dem vielgestaltigen Projekt der Bedeutung
00:28:16
als das Kassierer die menschliche Kultur begreifen will
00:28:22
Wir sind damit beim tragenden Begriff seiner gesamten Kulturphilosophie.
00:28:28
Als symbolische Form wird also, wie wir sogleich bemerken,
00:28:33
nicht der Einzelne geformte Bedeutungsträger bezeichnet.
00:28:39
Symbolische Formen sind die geistigen Energien, durch die es zur Symbolisierung kommt.
00:28:46
Kassierer spricht auch von geistigen Energien des Bildens,
00:28:51
von Form gebenden geistigen Energien,
00:28:54
die sich in den kulturellen Leistungen manifestieren und er meint damit eben,
00:28:59
wie gesagt,
00:28:59
regelmäßige typische Weisen des Verstehens und Erzeugens
00:29:04
von Bedeutung
00:29:07
Wenn es dann darum geht, die auch zu benennen,
00:29:10
dann nennt er als symbolische Formen meistens Mythos und Religion Sprache, Kunst und Wissenschaft.
00:29:23
Er versteht aber auch Geschichte, Recht und Moral und Wirtschaft als symbolische Formen.
00:29:32
Und er versteht auch die Technik als eine symbolische Form.
00:29:38
Er nennt diese Energien des Bildens auch geistige Formen oder geistige Grundfunktionen und ist überrascht angesichts seiner Materialreichen,
00:29:46
historischen systematischen Darstellung der Kulturentwicklung nicht, dass er grundsätzlich,
00:29:53
wie er selbst sagt, auf eine philosophische Systematik des Geistes aus ist.
00:30:00
Diese und ähnliche Bestimmungen,
00:30:02
wie auch die Auffächerung in das System der symbolischen Formen,
00:30:07
Mythos, Religion, Sprache, Kunst und Wissenschaft,
00:30:11
um die Mindesten zu nennen,
00:30:14
lassen bei aller Nähe des theoretischen Programms zu kannt,
00:30:18
auch starke methodische Analogien zu Hegel erkennen.
00:30:22
Auf Hegelsphänomenologie des Geistes bezieht sich Kassierer etwa ausdrücklich,
00:30:26
wo er das ganze Gebiet der Kultur skizziert und dann eben sagt,
00:30:33
Die Sprache, der Mythos, die theoretische Erkenntnis,
00:30:38
sie alle werden hier als Grundgestalten des Objektiven Geistes genommen.
00:30:44
Zitat Ende. Und damit ist noch einmal der systematische Gedanke
00:30:49
bekräftigt, auf den ich schon eingangs Wert gelegt habe.
00:30:54
Ebenso wie anhand von Kanzargument zur Widerlegung des Idealismus kann man
00:31:00
an Kassierers programmatische Anknüpfung an Hegelslehre vom Objektiven Geist belegen,
00:31:06
dass sich Kassierer in seiner Theorie der Kultur den Geist ganz offenbar nicht vorstellen will,
00:31:14
nach der Art von etwas Ätherischem, das sein abgehobenes Eigenleben führt.
00:31:20
Nein, Geist haben wir,
00:31:23
nach dieser Theorie immer nur in materialisierter Form,
00:31:27
immer nur in den konkreten, sinnlichen Formen menschlicher Tätigkeit,
00:31:32
eingearbeitet in die Produkte unserer Gestaltung.
00:31:38
Geist ist die ins sinnliche Medium entäußerte Energie der Gestaltung,
00:31:43
er ist nirgends anders zu haben als im gestalteten Material.
00:31:49
Dafür steht der traditionelle Ausdruck Werk
00:31:54
Das Werk, das Kassierer als Synonym mit dem Begriff
00:31:57
des Symbols gelegentlich einsetzt. Und daran kann man dann auch
00:32:02
wiederum etwas weiteres erkennen, nämlich die Weite des Werkbegriffs.
00:32:07
Steht als Leistung des Animal-Symbolikum im Zentrum seines philosophischen Interesses.
00:32:13
Das Werk ist als Träger von Bedeutung das Element, der von menschengemachten Welt.
00:32:21
Das in der sozialen Einbindung immer auch kommunikative, hervorbringen von Werken,
00:32:27
dass Kassierer nicht anders, denn als Tat begreifen kann,
00:32:32
ist als Tat, aber zugleich als Effekt der Freiheit begriffen.
00:32:42
Und damit bin ich bei meiner Antwort auf die Frage nach
00:32:45
dem philosophischen Sinn und der aktuellen Anschlussfähigkeit der Philosophie der symbolischen Formen,
00:32:52
bei der Antwort,
00:32:53
dass es sich in dieser Anthropologie des kulturellen Wesens Mensch um eine Philosophie der Freiheit handle.
00:33:04
Man darf dazu sagen, in der philosophischen Geschichtsschreibung ist ernst
00:33:08
Kassierer als Theoretiker der Freiheit noch nicht angekommen
00:33:13
Er passt auch nicht in das konventionelle Schema, gemäß dem
00:33:17
wir unsere Debatten führen. Weder zur Willensfreiheit, noch zur Handlungsfreiheit,
00:33:24
hat sich Ernst Kassierer in der Terminologischen Distinktion und in der Ausführlichkeit geäußert,
00:33:32
die wir heute erwarten, wo immer wir einen Denker,
00:33:35
einen eigenen Beitrag zum Problem der Freiheit zuschreiben.
00:33:39
Auch zur politischen Freiheit, in der die institutionell organisierte und
00:33:44
rechtlich garantierte Dimension der Handlungsfreiheit zu sehen wäre,
00:33:49
gibt es bei ihm keine extensive,
00:33:51
theoretische Beschäftigung
00:33:54
Wenn auch die Rede von 1928 über die Idee der
00:33:59
Republikanischen Verfassung in Nutze schon sehr viel von dem enthält,
00:34:05
was man in einer Theorie des politischen braucht.
00:34:13
Es könnte unter der Bedingung der Dominanz des gerade erwähnten
00:34:18
konventionellen Debattenschemas, der Freiheitstheorien ein verharmlosender Zungenschlag herausgehört werden.
00:34:27
Wenn ich Kassierers Beitrag zum Begriff der Freiheit als das bezeichne,
00:34:31
was er zweifellos ist und was seiner Rezeption im Rahmen der zeitgenössischen Debatten bisher im Wege gestanden haben dürfte.
00:34:42
Nämlich eine Theorie der kulturellen Freiheit oder der Freiheit in der Kultur.
00:34:51
Diese Charakterisierung könnte so verstanden werden,
00:34:57
als gäbe es da einen ganz besonderen Bereich,
00:35:00
neben anderen Bereichen,
00:35:02
die Kultur und hier im markanten Unterschied zu einem jeden anderen Bereich,
00:35:09
könnte der Mensch gleichsam aufatmen und wie in einem Treibhaus oder
00:35:14
einem Naturschutzpark
00:35:17
Freiheit entwickeln
00:35:20
Gegen ein solches Missverständnis. Muss man aber nur von dem Gedanken Gebrauch machen,
00:35:26
den ich soeben im ersten Teil des Vortrags als Kassierers eigentlichen Gedanken zu vergegenwärtigen versucht habe.
00:35:35
Das mit Kassierers Begriff der Kultur nicht bloß der spezifische Bereich der Artikulation verfeinerter, geistiger,
00:35:43
vorwiegend ästhetischer Ansprüche auf Kreativität, Kommunikation und Unterhaltung gemeint sei.
00:35:51
Wie sie sich in den hochkulturellen Medien und künstlerischen Spitzenprodukten vergegenständlichen,
00:36:00
sondern vielmehr die elementare Bestimmung des Menschen,
00:36:03
die grundlegende in alle Tätigkeiten der Menschen ausdifferenzierte Funktion der produktiven Lebensgestaltung.
00:36:12
Alles das, was der Mensch als tätiges Wesen aus den
00:36:14
vorgefundenen Verhältnissen und dabei immer auch aus sich selber macht.
00:36:20
Mit Blick auf seinen systematischen Vorschlag,
00:36:23
die so verstandene Kultur als Ort der Freiheit zu begreifen,
00:36:28
ist zugleich ein ebenso elementares Verständnis von Freiheit vorgegeben, wie sich dann herausstellen wird,
00:36:36
dass das Verständnis von Freiheit damit immer konkret sein muss.
00:36:46
Wenn wir festhalten, Kassierer begreift die Kultur,
00:36:51
die nach seinem Begriff die Lebensform des Menschen ist,
00:36:54
als Form der Freiheit,
00:36:57
dann heißt das gemäß seiner Fundierung der Kultur,
00:37:00
in der symbolischen Aktivität des menschlichen Geistes,
00:37:04
er begreift jeden elementaren geistigen Akt,
00:37:08
jeden Akt der Symbolisierung,
00:37:10
sowohl als Akt der Befreiung,
00:37:14
wie als Akt der Konstitution eines Freiheitspotenzials
00:37:20
Ich habe in meinem kleinen Kassiererband von 2013, der gerade erwähnt wurde,
00:37:26
nach längerer Zeit des Überlegens diesen Grundlegungsgedanken schließlich als Kassierers Distanzapriori bezeichnet.
00:37:36
Und das ist jetzt meinerseits ein ernst gemeinter Vorschlag,
00:37:39
wie man diesen Gedanken auf seinen Begriff bringen kann.
00:37:42
Kassierers Distanzapriori. Kassierer betont mit Blick auf die produktive Gestaltung in Symbolisierungsprozessen aller Art
00:37:52
, nämlich ein entscheidendes Moment. In der Verobjektivierung zu der
00:37:58
es bei der Produktion wie bei der Rezeption von Symbolen kommt,
00:38:06
gewinnt der Mensch Distanz zu seinen Eindrücken und damit zu den Verhältnissen,
00:38:13
in denen er sich immer vorfühlt,
00:38:15
findet und zu sich selbst.
00:38:18
Und dieser Distanzgewinn in verobjektivierter Bedeutung ist, ist bereits Gewinn von Freiheit.
00:38:27
In der Objektdistanzierung kommt es komplementär zu einem distanzierten Selbstverhältnis
00:38:34
und durch beides zusammen eröffnet sich ein Spielraum für das Agieren
00:38:41
Durch jeden Akt der Symbolisierung gewinnen wir demnach in der distanzierenden Verobjektivierung
00:38:47
einen Spielraum der Verfügung, der zugleich eine Reflexionsspanne eröffnet.
00:38:54
Und von dem wir daraufhin ausgehen und eine neue Ebene
00:38:59
des Objekt, des Selbst- und des Weltverhältnisses definieren.
00:39:04
Kassierer konzipiert so in seiner Philosophie der Symbolischen Formel Symbolisierung als
00:39:10
den funktionalen Nukleus des Gewinns von Freiheit durch Distanz.
00:39:20
Ich möchte das einen genialen Gedanken nennen. Besonders anschaulich
00:39:26
hat er die Pointe seines Gedankens von Freiheit durch Distanz,
00:39:30
in seinem großen und methodologisch grundlegenden Aufsatz die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt,
00:39:36
von 1932 gemacht.
00:39:39
Nicht allein bildet sich in der sprachlichen Benennung erst der dingliche Gegenstand so,
00:39:48
dass wir im Sprechen über ihn verfügen können,
00:39:53
auch für das Verhältnis des Sprechenden zu seinen Zuständen beispielsweise zu seinen Affekten gilt,
00:40:04
dass die sprachliche Artikulation zur Verobjektivierung und damit zum freien Umgang mit einem Problem führt.
00:40:14
Es ist etwas anderes, ob ich wütend bin oder ob ich sage, ich habe Wut.
00:40:20
Schon da fängt die Distanzierung und die Befreiung von meinem mich
00:40:24
ansonsten möglicherweise beherrschenden Affekt an. Kassierer gibt dafür in einer Fußnote einen meines Erachtens höchst signifikantes Beispiel,
00:40:36
nämlich das Beispiel eines kleinen Kindes,
00:40:40
das zunächst einmal Vor allen Dingen beim Anblick fremder Männer,
00:40:45
Angst zu haben pflegte und dann die begütigende Formel,
00:40:50
die die Erwachsenen ihm sagten, du musst keine Angst haben,
00:40:53
keine Angst, selbst gewissermaßen als magische Beschwörungsformel übernimmt.
00:41:00
Wenn also dieses kleine Kind sich von seiner Furcht vor fremden Menschen durch die rituelle Wiederholung der sprachlichen Formel,
00:41:08
keine Angst, offenbar zu distanzieren lernt,
00:41:14
sich also durch das Aussprechen dieser Worte selbst ein Medium verschafft,
00:41:19
in dem es sich zu den bedrohlichen Eindruck verhalten,
00:41:23
indem es Mut fassen kann, dann ist genau darin ein exemplarischer Fall,
00:41:28
jener Befreiung zu sehen, die Kassierer als den Effekt,
00:41:32
jeder symbolischen Artikulation geltend macht und offensichtlich an der Sprache besonders prägnant schildern kann.
00:41:42
Im Essay On-Man 1944, der konzisen Gesamtrevision der Philosophie der symbolischen Formen, stellt er,
00:41:52
deren Leitmotiv, dann in den historischen Maßstab der Kulturentwicklung.
00:41:57
Die gemeinsame Funktion jeder Symbolisierung von den Elementaren und Zunächst noch unscheinbar bleibenden,
00:42:05
mentalen Leistungen bis zu den anspruchsvollsten Werken ist Befreiung. Und die Pathos-Formel,
00:42:17
die Kassierer dafür findet und die man an verschiedenen Stellen,
00:42:21
wo er seinen eigenen Ansatz systematisch zusammenfasst, immer wieder findet,
00:42:24
lautet Befreiung vom Bloßen Eindruck zur selbsttätigen Artikulation im Ausdruck.
00:42:34
Und der Weg, den das durchlaufen muss,
00:42:37
Befreiung vom bloßen Eindruck zur selbsttätigen Artikulation im Ausdruck ist,
00:42:43
in jedem Fall Gestaltung.
00:42:46
Deswegen auch der Ausdruck Philosophie der symbolischen Formen. Diese Pathos Formel taucht also,
00:42:53
wie gesagt, bei Kassierer mehrfach dort auf,
00:42:56
wo er sein Projekt einer Philosophie der symbolischen Formen programmatisch beschreibt.
00:43:04
Und sie ist zu verstehen, als die Markierung jenes Erkenntnis
00:43:10
theoretisch nur konstruierbaren Grenzzustandes von Unmittelbarkeit Von Unmittelbarkeit als Kulturlosigkeit als Distanzlosigkeit,
00:43:24
könnte man sagen. In welchem uns die Dinge und Verhältnisse
00:43:29
als noch amorphe Reizüberflutung gleichsam auf den Leib gerückt wären.
00:43:34
Von diesem Grenzzustand abgegrenzt ist die Formel des Gewinns von Freiheit durch Artikulation.
00:43:43
Dieser elementare Begriff von Freiheit durch Artikulation muss vorausgesetzt werden,
00:43:49
wo es bei Kassierer heißt,
00:43:50
die Kultur sei systematisch als Form der Freiheit und
00:43:55
historisch als Prozess der Fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen
00:44:01
zu verstehen
00:44:04
Im System der Symbolischen Formen,
00:44:07
in der Vielfalt der symbolischen Formen, in Sprache,
00:44:11
Mythos und Religion, in Kunst, Wissenschaft, Technik,
00:44:15
Recht und Moral, tritt dem Menschen also nach Kassierer,
00:44:20
die eigene nach verschiedenen Gestaltungsmodi ausdifferenzierte, geistige Selbsttätigkeit entgegen.
00:44:26
Man könnte sagen, die geistige Selbsttätigkeit in verschiedenen Adregatszuständen.
00:44:34
In allen diesen Formen ist das Grundphänomen ausgeprägt,
00:44:37
sagt Kassierer,
00:44:38
und jetzt zitiere ich ihn
00:44:40
Dass unser Bewusstsein sich nicht damit begnügt,
00:44:45
den Eindruck des Äußeren zu empfangen, sondern dass es jeden
00:44:50
Eindruck mit einer freien Tätigkeit des Ausdrucks verknüpft und durchdringt.
00:44:56
Man erkennt hier die Wurzeln im kantischen Spontanitätsbegriff.
00:45:02
Man erkennt meines Erachtens auch andeutungsweise schon,
00:45:06
den Balkant sich dann vollziehenden Übergang von Spontanität in Autonomie.
00:45:11
Man sieht aber vor allem in dieser Bestimmung ist das
00:45:14
praktische Leitmotiv dieser Philosophie der Kultur zu erkennen,
00:45:20
nämlich freie Tätigkeit
00:45:25
So, also ist das nach meiner Lektüre zu verstehen,
00:45:29
dass Kassierer die Kultur als Ort und Vollzug der Freiheit begreift.
00:45:35
Jede symbolische Leistung geht auf die Spontanität des tätigen Geistes zurück
00:45:41
und verobjektiviert dessen Freiheit dann in den daraufhin gestalteten Formen,
00:45:49
als Verfügbarkeit,
00:45:52
damit auch als jederzeitige Revidierbarkeit und damit auch als
00:45:58
ein bearbeitbarer,
00:45:59
reflektierbarer Geltungsanspruch
00:46:03
In lauter Sphären, in denen die Menschen,
00:46:05
die gemeinsame Welt schaffen, die wir im Begriff der Kultur meinen.
00:46:11
Was in Kassierers Theorie instrumentiert ist, ist damit ein,
00:46:17
im epistimologischen, wie im praktischen Sinne, realistisches Freiheitsverständnis,
00:46:23
in dem der Dualismus von theoretischen und praktischen Leistungen tendenziell aufgehoben ist.
00:46:31
Die Grundfunktion der Freiheit ist demnach in einem elementaren Sinne
00:46:35
Handlungstheoretisch,
00:46:38
als Verfügung gefasst
00:46:42
In einem epistemologischen Zugriff, der im Sinne elementarer Praktizität mentaler
00:46:47
und kognitiver Leistungen, mit dem Modell der Handlung operiert.
00:46:54
Mit diesem denkbar elementaren Begriff verbindet sich meines Erachtens aber der systematische Vorzug,
00:47:01
dass das damit gegebene Freiheitsverständnis, wie gesagt,
00:47:04
konkret wird,
00:47:05
in den unweigerlich sinnfälligen und sogar teilweise wenigstens handgreiflichen Effekten,
00:47:14
der so verstandenen Freiheit
00:47:17
Blickt man auf den Raum und die Werke der Kultur,
00:47:21
diese tausendfachen Manifestationen,
00:47:23
symbolischer Tätigkeit, in ihrem stets unabsehbaren Formenreichtum,
00:47:30
so dürfte man kaum auf die Idee kommen,
00:47:34
das alles könnte sich auch aus bedingten Reflexen oder einem sonst wie gedachten neuronalen Determinismus ergeben haben.
00:47:44
So manche abstrakte Verselbstständigung erübrigt sich im Blick auf die Realität der menschlichen Kultur
00:47:52
und hier sehe ich gewissermaßen eine Antwort oder die Antwort auf die Frage,
00:47:59
wie weiter mit Kassierer.
00:48:01
Diesen Impuls vom Aufsuchen der Freiheit in tatsächlich manifestierten Aggregatzuständen
00:48:09
könnten wir für unsere Freiheitsdiskussion etwas lernen.
00:48:16
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.
00:48:19
Es ist der so skizzierte Begriff von Freiheit in der Kultur
00:48:23
und es ist die an ihn gebundene Humanität,
00:48:28
die Ernstkassierer in der Davoser Disputation gegen Martin Heideger
00:48:33
zu verteidigen sucht
00:48:35
Heideger und Kassierer hatten vom 16. März bis zum 6. April
00:48:41
1929 gemeinsam die Davosa-Hochschulwochen zum Thema Mensch und Generation geleitet.
00:48:49
Man muss sich das vorstellen als eine frühe Form von Workshop,
00:48:55
diese Art von Workshops, die ihnen da,
00:48:56
wo es regelmäßig stattfanden und ein gebildetes, touristisches,
00:49:01
ebenso wie ein extra dazu anreisendes akademisches Publikum anzogen,
00:49:09
waren so eine Art von mehreren Dozenten,
00:49:11
meistens von zwei Dozenten
00:49:13
geleiteter Workshop
00:49:16
Die beiden, Kassierer und Heideger hatten, bevor sie einander
00:49:20
dann am 26. März in der berühmten Disputation gegenüber traten.
00:49:27
Beide eine Reihe von Vorträgen gehalten. Heideger Zukannt,
00:49:33
Kassierer als urbaner Herr, zu dem Themenkreis,
00:49:40
den sein Gesprächspartner in seinem Opus Magnum entwickelt hatte.
00:49:45
Die Veröffentlichung von Sein und Zeit lag zu diesem Zeitpunkt
00:49:49
zwei Jahre zurück
00:49:52
Der Autor des Buches hatte die an der Erkenntnis orientierte Fragestellung der abendländischen Philosophie für einen Skandal erklärt,
00:50:02
weil mit ihr die Trennung von Subjekt und Objekt und der
00:50:05
kathesische Dualismus zum Fundament der Wirklichkeit erklärt worden sei.
00:50:12
Heideger ist es darauf hin, um das ganzheitliche,
00:50:16
integrale in der Welt sein des menschlichen Daseins zu tun,
00:50:21
dass er im pragmatisch-praktischen Umgang mit den Dingen in der Sorge eines
00:50:27
zum Tode bestimmten Wesens um seine unmittelbare Existenz und in einer Freiheit sieht,
00:50:36
in welcher der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist.
00:50:42
Das Buch war, als die Überwindung der Subjekt und Bewusstseinsphilosophie damit auch als Triumph,
00:50:49
über den in der akademischen Philosophie noch dominierenden Neukantianismus verstanden worden.
00:50:58
Auch Kassierer zu dem Zeitpunkt seit zehn Jahren Ordinarius an der
00:51:02
Hamburgischen Universität und seit einem halben Jahr im Amt des Rektors
00:51:09
hatte seinen philosophischen Systementwurf weitgehend entwickelt
00:51:14
Die Philosophie der Symbolischen Formen lag in ihren ersten beiden Bänden.
00:51:19
Die Sprache 19023, das mythische Denken 1925 vor.
00:51:25
Der dritte Band über die Wissenschaft unter dem Titel Phänomenologie der
00:51:29
Erkenntnis war abgeschlossen und sollte im Herbst des Jahres erscheinen.
00:51:35
Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen wollte Kassierer,
00:51:39
wie ich es gerade skizziert habe,
00:51:42
nirgends anders suchen als in der Kultur,
00:51:45
im Rekurs auf die Funktionsbegriffe der Symbolisierung
00:51:52
Und wenn ich das so kurz gegeneinander skizziere, dann sieht man gleich,
00:51:55
dass die beiden Antagonisten der Disputation offenbar eine systematische Absicht miteinander teilen.
00:52:04
Denn die Überwindung des Dualismus ist auch das Übergeordnete,
00:52:08
man würde heute vielleicht sogar sagen, das meta-theoretische Interesse,
00:52:12
dass Kassierer mit seiner Philosophie der Kultur verfolgt.
00:52:16
Er will den Dualismus gegen den Heideger oponiert, gerade dadurch überwinden,
00:52:23
dass er die gesamte menschliche Wirklichkeit als System der Symbolisierungen durchdekliniert dabei
00:52:32
die durchgängige Struktur der Bindung geistiger Leistung an die sinnliche Medialität betont.
00:52:42
Wo also Geist ohne Sinnlichkeit, wo Geist ohne Materie,
00:52:48
wo geistiges deutlich gesagt ohne Körperliches nicht zu haben ist,
00:52:52
da kann man vielleicht wirklich sagen,
00:52:54
wenn es gelingt, diesen Ansatz durchzuführen,
00:52:57
ja,
00:52:57
dann kann das ein Kandidat für die Überwindung des Dualismus sein
00:53:03
Nehmen wir noch einmal den Locus-Klassikus zur Bestimmung der symbolischen Form,
00:53:10
unter einer symbolischen Form soll jede Energie des Geistes verstanden werden,
00:53:17
durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes,
00:53:21
sinnliches Zeichen geknüpft und diesen Zeichen innerlich zugeeignet wird.
00:53:26
Und in solchen Verknüpfungen, in solchen Komplexionen von Sinnlichkeit und Geistigem
00:53:32
, vollzieht sich die ganze menschliche Welt.
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Oder nehmen wir als Schlagen des Indiz die programmatische Stelle aus
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dem dritten Teil der Philosophie der symbolischen Formen,
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wo es heißt, Ich zitiere,
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das Verhältnis von Seele und Leib stellt das erste Vorbild und Musterbild für eine reinen symbolische Relation dar,
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die sich weder in eine Dingenbeziehung noch in eine Kausalbeziehung umdenken lässt.
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Hier gibt es ursprünglich weder ein Innen- und Außen noch
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ein Vorher- oder nachher ein wirkendes oder ein bewirktes.
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Hier waltet eine Verknüpfung,
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die nicht aus getrennten Elementen erst zusammengefügt zu werden braucht,
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sondern die primär ein sinnerfülltes Ganze ist,
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das sich selbst interpretiert,
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Zitat Ende
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Eine starke Stelle,
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deren Potenzial ich sicherlich auch dann heute Abend nicht ausgeschöpft hätte haben können,
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wenn ich sie nicht erst am Ende meines Vortrags gebracht hätte,
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die aber in aller Kürze doch so viel zweifellos zeigen kann,
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das für Kassierer, der nicht dualistisch gefasste Leib,
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das Modell ist, das dem Verständnis der Symbolrelation zugrunde gelegt werden soll.
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Das aber bei Heidegger in der vermeintlichen Überwindung des Dualismus
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der Leib und das Sinnliche
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überhaupt keine Rolle spielen
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Und dass sie Intersubjektivität,
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nicht wie man das von einem Überwinder des Dualismus eigentlich erwarten dürfte,
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von der Mutter-Kind-Symbiose her aufgebaut wird,
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sondern überhaupt nicht phänomenologisch aufgebaut wird und allein in den Genealogisch
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schon ziemlich späten und über dies pejorativen Formen des Mann und des Geredes Berücksichtigung finden,
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hat die Affisionadus dieser Theorie überhaupt nicht gestört.
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Nun, ich könnte jetzt an der Stelle ein neues Plateau,
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der auseinandersetzung eröffnen. Und ich würde das auch sehr gern tun,
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aber wir wollen bei Kassierer bleiben oder wieder zu Kassierer zurückkommen.
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Und das alles, was ich jetzt hier skizziere und was man dem noch anfügen könnte,
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kam in der Davosa-Disputation auch nicht ausdrücklich zur Sprache, sondern bildet deren Hintergrund.
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Was aber zur Sprache kommt, ist das Verständnis von Freiheit.
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Dabei lässt auch der Satz,
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den Heidegger in der Davosa-Disputation entsprechend dem Protokoll von Bolno ausspricht,
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Ich zitiere, dass die Freiheit nur ist und sein Kann in der Befreiung,
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Zitat Ende, auf den ersten Blick über Einstimmung in einem wesentlichen Punkt vermuten.
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Doch tatsächlich haben die beiden Kontrahenten widerstreitende Begriffe von Befreiung. Die Freiheit,
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die Kassierer meint, ist die kulturelle Tätigkeit des Menschen,
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die Gestaltung seiner eigenen Verhältnisse,
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die immer zugleich objektive Artikulation und Selbstformung
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mit einschließt
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In polemischer Abgrenzung,
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gegen das zu dieser Zeit bereits ausgewiesene Arbeitsgebiet seines Gesprächspartners,
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legt Heidegger in der Disputation Wert auf die Bemerkung,
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dass die Kultur für ihn den faulen Aspekt eines Menschen bezeichne,
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der bloß die Werke des Geistes benutzt.
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Das war ein Zitat. Den faulen Aspekt eines Menschen,
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der bloß die Werke des Geistes benutzt.
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Für ihn ist Kultur nichts anderes als ein Bereich des Uneigentlichen.
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Man darf dann auch durchaus schon mal übersetzen, der Entfremdung,
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Durch welchen dem Dasein die existenzielle Herausforderung verstellt ist.
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Die Aufgabe der Philosophie sieht er daraufhin darin, ich zitiere,
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gewissermaßen den Menschen zurückzuwerfen, in die Härte seines Schicksals, Zitat Ende. Unübersehbar,
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dass Heideger in dieser Alternative zwischen der Konfrontation mit der Nichtigkeit
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des menschlichen Daseins und dem Komfort des Partizipierens an der Kultur gerade das verkennt,
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worum es Kassierer geht, Nämlich die elementare, produktive Arbeit,
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die da die ganze Zeit an der Kultur,
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in der Kultur geleistet wird.
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Geistige Leistung ist es, was Kassierer in jedem Schöpferischen hervorbringen,
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wie auch in jeder Aneignung von Werken und Taten,
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als das Prinzip der Kultur begreift,
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die deshalb für ihn Ort und Prozess der Befreiung sein kann.
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Und um es in einem der Reizwörter von Heidegers Ansatz zu reformulieren,
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in der symbolischen Artikulation Ah,
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tikuliert sich der Mensch als das, was er eigentlich ist.
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Heideger dagegen will nicht nur im Hinblick auf die philosophische Grundlegungsfrage,
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wie er selber sagt, den Boden zu einem Abgrund machen.
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Er will, wie er in seinen und Zeit in der Analyse des Todesbewusstseins gezeigt hat,
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den Menschen radikal der Angst des nackten Daseins ausliefern,
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um ihn eigentlich zu machen und ihn zu exponieren für
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die Entschlossenheit im Augenblick
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Es sollte sich nur allzu rasch und deutlich zeigen,
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dass ihnen dieses Ästhetizieren, Dezisionistische Denken anfällig machte,
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für die Faszination des törichterweise als revolutionär empfundenen Aufbruchs
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1933. Für den Kantianer Kassierer ist die Angst,
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keine Grundbefindlichkeit des Daseins. Er ist weit davon entfernt,
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in ihr das Nadelöhr des sinnvollen Lebens zu sehen.
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Er sieht in Angst nichts anderes als einen Affekt
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Den es in der Artikulation zu bewältigen gilt. Und für ihn
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gibt es auch keine solche von Heidiger hochgelobte Augenblicksfaszination. Er,
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der den Sinn der Kultur geradezu in der Befreiung des Menschen von Angst und anderen unmittelbar wirkenden Eindrücken sieht,
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weiß zugleich,
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dass es auch für den Willen zur Veränderung mit den großen Ausbrüchen und Aufbrüchen niemals getan ist,
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sondern allein mit der reformerischen Arbeit in den Institutionen der Kultur,
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auf die sich der Anspruch auf Freiheit stützen und verlassen können muss.
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Und die es
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deshalb zu schützen gilt
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So fiel meine Damen und Herren. Die jungen Studenten bei
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der Davoser Disputation waren völlig hingerissen von Heidiger und der putschistischen Aufbruchsstimmung,
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die er mit seinen suggestiven Äußerungen vermittelte.
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Sie fanden den vernünftigen Kassierer langweilig. Der Hosa Disputation schien
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ihnen mit einem klaren Punktsieg des Philosophen ausgegangen zu sein,
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der schon vier Jahre später davon träumte,
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der Führer des Führers sein zu können
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Wie gut, dass wir uns die Freiheit nehmen,
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dass in der Distanz anders einzuschätzen.
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Ich danke Ihnen