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20.01.2015

Ernst Cassirer - eine Philosophie der Freiheit

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  • 00:00:02
    Vielen herzlichen Dank für die sehr freundliche und auch viel zu ausführliche Einführung.
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    Sie haben den Protest gehört und insbesondere vielen Dank für die Einladung.
  • 00:00:14
    Natürlich bin ich der gern gefolgt. Meine Damen und Herren,
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    es könnte ja auf den ersten Blick so aussehen,
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    als hätten wir es in unserer Ringvorlesung heute mit einer lokalen Größe zu tun.
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    Ernst Kassierer, der von 1874 bis 1945 gelebt hat,
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    wurde nämlich im Mai 1919 gleich nach der Gründung
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    der Hamburgischen Universität als Ordinarius der Philosophie
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    hierher berufen
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    Als sie gerade hier in den Saal kamen, sind sie
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    an der Ernst-Kassierer-Büste vorbeigegangen. Jedenfalls gilt das für diejenigen,
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    die den Saal durch die Tür jetzt rechterhand von mir betreten haben.
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    An der Büste vorbeigegangen, die daran erinnert,
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    dass dieser Denker von 1919 bis 1933 an dieser Universität gewirkt und seine Gedanken entwickelt hat,
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    den wesentlichen Teil seines Werkes möchte ich dazu sagen.
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    Wenn Sie diese Büste bisher noch nicht über die Schwelle ihrer Aufmerksamkeit haben kommen lassen,
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    dann ist der heutige Abend Und insbesondere auch der Empfang natürlich,
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    im Anschluss an meinen Vortrag sicher eine gute Gelegenheit, dieses Defizit zu beheben.
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    Und sie haben dabei auch Gelegenheit, die schon häufiger geäußerte Einsicht aufzufrischen,
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    das Kunstwerke nicht schön, ja sogar,
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    dass sie gemessen am Kriterium etwa der Adäquanz nicht einmal gelungen sein müssen,
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    um uns etwas zu bedeuten. Mir zum Beispiel,
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    die ich ein Jahrzehnt meines Lebens an eine Gesamtausgabe der Werke
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    ernst Kassierers gesetzt habe und dabei die ganze Zeit Den guten Grund,
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    dies zu tun, immer nur bestätigt gefunden habe,
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    bedeutet es sehr viel,
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    dass diese unter ästhetischem Gesichtspunkten subalterne Büste hier hängt.
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    Und es vergeht keine Semesterwoche, in der ich mich beim
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    Betreten des Hörsaals nicht freue, dass sie hier hängt.
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    Ich hoffe, dass ich davon auch etwas jetzt auf sie
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    übertragen kann und sie dann demnächst die Büste auch über die Schwelle ihrer Aufmerksamkeit heben.
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    Was ich aber mit dem Hinweis auf diese Büste eigentlich sagen will,
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    hier in Hamburg können Sie sich mit dem Philosophen Ernst Kassierer
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    dessen Werk man natürlich nach dem Abschluss der Hamburger Ausgabe seiner Werke in der erforderlichen Leichtigkeit überall in der Welt studieren kann.
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    Im Kontakt zu einem Genius Lotzi, besonders intensiv auseinandersetzen.
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    Sie können hier in Hamburg zum Beispiel auf den Spuren Kassierers spazieren gehen und dabei nicht nur im Ernst Kassierer-Hörsaal,
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    der mir jetzt im Rücken liegt,
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    dem Hörsaal A im Hauptgebäude des Eltmann Simos Allee 1,
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    Den Raum identifizieren, in dem Passierer im Juli 1930,
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    als Rektor dieser Universität, die Festrede zum Jahrestag der Weimarer Verfassung hielt.
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    Überwandlungen der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geschichte.
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    Apropos Rektor dieser Universität, die Leishalle, die damals noch einfach Musikhalle hieß.
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    Gehört auch zu den Stationen eines möglichen Kassiererspazierganges.
  • 00:03:48
    Dort war Kassierer nach seiner Wahl zum Rektor der Universität,
  • 00:03:52
    im Oktober 1929,
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    feierlich ins Amt eingeführt worden und hatte in dem anschließenden Festakt
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    die Rede gehalten über Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs
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    Sie können auch hier jenseits des Campus im Pferdestall am damaligen Bornplatz,
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    dem heutigen Alliendeplatz, wo jetzt die Soziologie und die Politikwissenschaft residieren,
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    die Etage noch ausmachen,
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    in der das ehemalige philosophische Seminar unter der Leitung Kassierers untergebracht war.
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    Und sie können bei einem Gang um die Außenalster,
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    jenseits der Krugkoppelbrücke in der Blumenstraße 26,
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    das Haus noch sehen,
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    in dem Kassierer als Professor der Philosophie mit seiner Frau Toni
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    und seinen Kindern
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    gewohnt hat
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    Und wo Toni Kassierer 1928,
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    als ihr Vater einmal zu Gast war und sie mit ihm im Garten stand,
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    sich von einem ihrer direkten Nachbarn, den Zuruf anhören durfte,
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    man sieht ja geradezu, dass die Herrschaften nach Palästina gehören.
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    Wenn Sie dies wissen, meine Damen und Herren,
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    haben Sie auch einen Fingerzeig darauf,
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    wieso ernst Kassierer und seine kluge Frau 1933 nach dem Ausgang
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    der Wahl und der Einsetzung Hitlers zum Kanzler,
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    keine lange Schrecksekunde brauchten,
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    um ihre Konsequenz aus einer problembewussten Beobachtung
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    zu ziehen
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    Sodass sie, als im April das Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,
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    das sogenannte Gleichschaltungsgesetz,
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    mit dem jüdische Gelehrte aus den deutschen Universitäten entfernt werden konnten,
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    in Kraft trat, Hamburg und Deutschland bereits verlassen hatten.
  • 00:05:53
    Sie waren schon im März 1933 außer Landes gereist.
  • 00:05:58
    Und das wäre für mich der erste Punkt,
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    an dem man innehalten und markieren könnte,
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    was man im Sinne der Frage,
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    wie weiter mit von Kassierer lernen kann
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    Ich jedenfalls würde etwas darum geben,
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    wenn ich in einem vergleichbaren historischen Augenblick, über die Illusionslose Beobachtung,
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    die sichere Urteilskraft und die Geistesgegenwart verfügen würde,
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    die Kassierer 1933 zwischen Januar und März gezeigt hat.
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    Soviel nur, apropos Blumenstraße 26 und ich führe von da
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    aus den Kassiererspazierern noch eine Station weiter.
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    Wenn Sie von der Blumenstraße die kurze Strecke in die Heilwichtstraße
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    gehen,
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    kommen Sie an die Nummer
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    Barburghaus. Das ist die ehemalige Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg.
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    Das kann man heute noch im Backstein an den Buchstaben kbw
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    erkennen. Zu deren bevorzugten Nutzern Kassierer gehörte.
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    Und es gehört zu den Aspekten meiner Arbeit hier in Hamburg,
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    die ich als eine ideelle Gehaltszulage empfinde,
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    dass das philosophische Seminar seine Examensfeier,
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    seitdem wir uns entschlossen haben,
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    dass es sie nach den Formlosigkeiten der 70er wiedergeben soll,
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    im Warburghaus begeht
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    Ich könnte dem noch das eine oder andere Detail zum Thema Ernstkassierer in Hamburg hinzufügen.
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    Aber letztlich würde doch alles darauf hinauslaufen müssen, dass Kassierer keineswegs
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    einer Hamburger Lokalgröße war, sondern ein Philosoph von Weltgeltung.
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    Er war nicht nur einer der größten Gelehrten, die Hamburg
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    in seiner gesamten kurzen Universitätsgeschichte bisher für sich gewinnen konnte.
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    Er war auch einer der letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts.
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    Er hatte neben der Philosophie die Fächer Jura, Germanistik,
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    Psychologie, Mathematik, Biologie,
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    Chemie und Physik
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    Und konnte auf dieser Basis mit seinem Lebenswerk,
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    die heute geläufige und so häufig resignativ verwendete Formel von den zwei Kulturen,
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    Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, die da Kommunikationslos gegeneinander stehen.
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    Ebenso programmatisch bestreiten, wie praktisch in seinem Werk widerlegen.
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    Aufgrund seiner gediegenen Kenntnisse in den Geisteswissenschaften,
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    wie in den Kulturwissenschaften,
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    hat er mit seiner Theorie der Kultur
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    auch ein Beispiel interdisziplinären Arbeitens gegeben
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    Der Vollständigkeit halber sei. Er ist heute Abend wenigstens in
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    aller Kürze erwähnt. Diese Interdisziplinarität hat ihre Verkehrsformen insbesondere in
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    der engen Kooperation mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg und den
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    dort wirkenden ebenfalls Interdisziplinär eingestellten Kunsthistorikern gefunden.
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    Auch eine zweite Antwort und damit die erste Wissenschaftsbezogene Antwort auf
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    die Titelfrage dieser Ringvorlesung.
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    Hätte sich damit indirekt und völlig zwanglos
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    bereits ergeben
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    Mit Kassierer machen wir so weiter, dass wir uns an
  • 00:09:40
    seinem Arbeitsethos und an der reichen Instrumentierung seiner theoretischen Neugierde ein Beispiel nehmen.
  • 00:09:48
    Dass wir eine ebenso breite und gediegene wissenschaftliche Theoriebildung erwerben und
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    ebenso sachhaltig philosophieren wie er,
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    dann haben wir auch die Chance für die offenen Fragen der Gegenwart, etwas herauszukriegen.
  • 00:10:03
    Das wäre ein guter Vorsatz, der aber,
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    das muss man fairerweise zugeben,
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    nicht erst an den Curricula der neuen Studiengänge nach Bologna
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    kläglich scheitern müsste
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    Aber auch für Ernstkassierers philosophischen Ansatz ließe sich unter der Titelfrage,
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    wie weiter mit so manche Verwendungsweise ausmachen. Je nach der Antwort,
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    die man auf die Frage nach Charakter und Ausrichtung
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    nach den dominierenden Erkenntnisinteressen und Perspektiven seiner Theorie gibt,
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    wird auch die systematische Erwartung, wie es mit ihnen weitergehen,
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    wie man mit ihm ein Stück weiterkommen könne, unterschiedlich ausfallen.
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    Die Frage muss also zunächst sein,
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    was ist Ernstkassierers Philosophie der symbolischen Formen
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    Die erste, methodisch am nächsten liegende Antwort lautet,
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    Kassierers Theorie ist eine umfassende Theorie des Symbolischen. Sie enthält den Ansatz,
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    die Sphäre der Bedeutung als wesentlich für das Selbstverständnis und den
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    philosophischen Begriff des Menschen zu erkennen und das Potenzial,
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    die Funktionen und Moddi der Erzeugung von Bedeutung indifferenzierter Weise zu untersuchen,
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    und zu helfen,
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    sie in ein integrales Konzept
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    zu fassen
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    Kassierers Ansatz ist nach meinem Eindruck vom Stand der Bedeutungstheoretischen
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    Zeichen theoretischen Symboltheoretischen Ansätze und Debatten der Gegenwartsphilosophie.
  • 00:11:46
    Nicht allein in diesem oder jenem Detailproblem anschlussfähig,
  • 00:11:52
    sondern könnte meines Erachtens auch hilfreich sein,
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    weil seine Begriffe von Symbolisierung,
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    seine Funktionsanalysen von Symbolisierung,
  • 00:12:05
    gegen immer wieder einmal
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    aufkommende vermeintliche Alternativen
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    aufgeboten werden können
  • 00:12:12
    Weil mit anderen Worten dieser Ansatz, Sprache und Bild,
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    Rieten und Artefakte, Gedanken und Handlungen, kurz epistemische,
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    praktische, ästhetische und emotionale Leistungen gleichermaßen zu fassen,
  • 00:12:32
    versucht und in ein Umgreifendes Konzept zu integrieren beansprucht.
  • 00:12:41
    Die daraufhin naheliegende zweite Antwort, die auch der vom Autor selber
  • 00:12:45
    in den Schriften der 20er Jahre verwendeten Terminologie nahe bleibt,
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    Könnte gleichsam, wie die Bildung konzentrischer Kreise,
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    wenn man einen Stein ins Wasser geworfen hat, weiter ausgreifen.
  • 00:13:00
    Ernst Kassierers Philosophie der Symbolischen Formen ist eine auf den Charakter
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    der Erzeugung von Bedeutung fokussierende Konstitutionstheorie menschlicher Wirklichkeit.
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    Eine bedeutungstheoretische Lehre von der auf allen denkbaren Ebenen geleisteten Gestaltung
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    der Wirklichkeit durch den Menschen. Die dritte in der Sache ebenso naheliegende,
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    die sich im Anschluss an die zweite Antwort geradezu aufdrängt,
  • 00:13:33
    und wäre dann auf die Einordnung dieses Ansatzes und seiner Erträge in geläufige,
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    philosophische Disziplinen ausgerichtet.
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    Sie ist vom Autor selber 1944 in seiner Conceasen-Gesamtrevision,
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    dem Essay On-Man, ausdrücklich und stark exponiert worden und lautet,
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    die Philosophie der symbolischen Formen ist eine philosophische Anthropologie.
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    Der Mensch ist das Animal-Symbolikum,
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    das Symbol erzeugende und symbolverstehende Wesen
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    Was für die großen Anthropologien des 20. Jahrhunderts ohne Ausnahme zutrifft,
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    dass nämlich Anthropologie und Kulturphilosophie zwei verschiedene Sachtitel für ein und
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    dasselbe philosophische Unternehmen sind, lässt sich an Kassiererstheorie exemplarisch studieren.
  • 00:14:31
    Hier gilt, das System aller möglichen Weisen der Sinnerzeugung durch
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    Symbolisierung ist das, was wir die menschliche Kultur nennen.
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    Und der Mensch ist das Wesen,
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    das seiner Natur nach nicht anders als in Kultur leben kann
  • 00:14:51
    und deshalb Kultur in allen ihren Formen als seine Lebensphäre
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    hervorbringen muss
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    Wir sind Fische im Wasser der Kultur,
  • 00:15:06
    sagt der ansonsten in vielen so gut orientierte Sozialanthropologe Michael Thomasello
  • 00:15:12
    und zeigt mit diesem kompletten Fehlgriff hoffentlich nur,
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    dass er keine glückliche Hand in der Wahl von Metaphern für seine Forschungseinsichten hat.
  • 00:15:24
    Das hätte Kassierer nicht passieren können, so durchdringt wie ihm klar war,
  • 00:15:29
    dass Kultur nicht das Element ist,
  • 00:15:32
    in dem wir uns irgendwie vorfinden,
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    sondern dass es die Menschen selbst sind,
  • 00:15:38
    die die Kultur erst hervorbringen
  • 00:15:42
    Sehr häufig fast, Kassierer diesen von Grund auf und in allem,
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    kulturellen Charakter des Menschen, in Formulierungen,
  • 00:15:51
    die den menschlichen Geist als den Ursprung und das Movents der Kultur begreifen.
  • 00:15:58
    Und macht sich darin,
  • 00:16:00
    wie man noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts beobachten konnte,
  • 00:16:04
    missverständlich,
  • 00:16:06
    weil nicht jeder Hörer und Leser sofort realisiert,
  • 00:16:10
    dass für seinen Begriff des Geistes genau das gilt,
  • 00:16:15
    was Kant in der Einfügung einer Widerlegung des absoluten Idealismus
  • 00:16:20
    in die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft von der
  • 00:16:23
    menschlichen Vernunft
  • 00:16:24
    geltend gemacht hat
  • 00:16:27
    Was er in seiner Kritik der Vernunft analysiert,
  • 00:16:32
    sind Funktionen, zu deren intrinsischer Bestimmung ist,
  • 00:16:36
    deshalb gehört Funktionen zu etwas und damit als Funktionen auf etwas gerichtet zu sein.
  • 00:16:47
    Eine sehr schlanke Wiederlegung des Idealismus muss man immer wieder sagen.
  • 00:16:53
    Und so auch Kassierer, was er analysiert,
  • 00:16:56
    ist kein Geist, der über den Wassern schwebte,
  • 00:17:00
    sondern einer,
  • 00:17:01
    der sich immer schon und immer nur als Formung der
  • 00:17:04
    bereits mitgedachten Materie artikuliert
  • 00:17:09
    Genauso wie Kassierers großer philosophischer Gewehrsmann kannt,
  • 00:17:14
    in seinem Funktionstheoretischen Ansatz die Vernunft als die endliche Vernunft,
  • 00:17:19
    eine sinnlich vernünftigen Wesens begreift.
  • 00:17:22
    So begreift Kassierer selbst den menschlichen Geist,
  • 00:17:27
    als die formbildende Kraft eines sinnlich geistigen Wesens.
  • 00:17:33
    Wo er den Geist anfügt, den Geist betont,
  • 00:17:37
    da verwendet er eine Abriviatur.
  • 00:17:39
    Er spricht in der Sache vom menschlichen,
  • 00:17:42
    stets in ein sinnliches Medium eingebetteten Geist
  • 00:17:47
    Ich werde Ihnen gleich zum Beleg die klassische Stelle vorführen,
  • 00:17:52
    in der Kassierer die Funktion der Symbolisierung bestimmt und dabei an
  • 00:17:57
    der konstitutiven Bindung des Geistes an sinnliche Medialität keinen Zweifel lässt.
  • 00:18:06
    Ich möchte Ihnen nach dieser Skizze möglicher sehr sinnvoller Antworten auf unsere Frage,
  • 00:18:15
    die sich auf den Charakter und damit auf den weiterführenden Vektor dieser Theorie beziehen.
  • 00:18:21
    Heute Abend diese Philosophie der Kultur,
  • 00:18:24
    die als philosophischer Anthropologie zu verstehen ist vorstellen,
  • 00:18:29
    indem ich dabei eine vierte Antwort auf die Ausgangsfrage gebe.
  • 00:18:33
    Eine Antwort, die bisher in der Kassiererinterpretation noch nicht in
  • 00:18:37
    der wünschenswerten Prägnanz und Entschiedenheit gegeben worden ist.
  • 00:18:44
    Diese Theorie des Menschen als eines kulturellen Wesens ist eine Philosophie der Freiheit.
  • 00:18:51
    Wenn ich Ihnen hier die Freiheitsphilosophische Dimension dieser Theorie anpreise,
  • 00:18:57
    dann hat das den Vorzug,
  • 00:18:59
    dass darin zugleich die Grundzüge auch der möglichen anderen Antworten
  • 00:19:04
    inklusiv sind
  • 00:19:07
    Denn ich muss ihnen zunächst in einem ersten Teil
  • 00:19:10
    eine Skizze des Unternehmens einer Philosophie der Symbolischen Formen geben,
  • 00:19:15
    wenn ich in einem zweiten Teil diese Theorie als Theorie der Freiheit kenntlich machen und wenigstens andeuten will,
  • 00:19:23
    auf welche Probleme unserer gegenwärtigen Freiheitsdebatte Kassierers Theorie meines Erachtens die deeskalierende Antwort bereithält.
  • 00:19:34
    Ich greife vor, indem ich sage,
  • 00:19:37
    der große Vorzug dieser Theorie der Freiheit ist darin zu sehen,
  • 00:19:42
    dass sie anders als viele andere Freiheitstheorien konkret ist.
  • 00:19:50
    Es ist eine realistische Theorie der Freiheit, die sich an
  • 00:19:54
    die Hervorbringungen des menschlichen Geistes hält. Und in allen ihren Ausprägungen,
  • 00:20:01
    den pragmatischen Aspekt der Realisierung von Freiheit ausdrücklich zu erfassen versucht.
  • 00:20:09
    Ich will dieses Freiheitskonzept in einem dritten Teil noch einmal kurz exemplarisch machen,
  • 00:20:16
    indem ich an ein Ereignis erinnere,
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    das mitten in Cassierers Hamburger Zeit fällt,
  • 00:20:24
    1929 Die navosa Disputation, in der sich der Denker der Kultur,
  • 00:20:30
    der am Tor zur Welt philosophierte und der Wanderer auf Schwarzwälder,
  • 00:20:35
    Holzwegen, Argonal gegenüberstanden.
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    Zu meinem ersten Teil, Anthropologie als Kulturphilosophie.
  • 00:20:47
    Kassierer hat einen aufs Grundsätzliche und aufs Ganze gehenden,
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    weiten Begriff von Kultur,
  • 00:20:55
    der die vielfach verbreitete Konzentration des Kulturverständnisses auf die Spitzenprodukte der Hochkultur
  • 00:21:04
    als ein Element in sich enthält und sich in seiner Exzension,
  • 00:21:09
    aber eben nicht auf dieses eine Element beschränkt.
  • 00:21:13
    Der Begriff der Kultur kulminiert zwar in den großen Werken.
  • 00:21:20
    In den Sprachen, die eine abstrakte und versatile Ich-Funktion ausprägen.
  • 00:21:26
    In den monotheistischen Religionen, die in der frontalen Konfrontation des Individuellen Ichs
  • 00:21:33
    mit dem einen Gott die ethische Idee der Verantwortung aufkommen lassen.
  • 00:21:39
    In den sprachlichen und bildlichen Kunstwerken, in den hochkomplexen Erkenntnissen
  • 00:21:45
    der Wissenschaft, in den liberaldemokratischen Verfassungen.
  • 00:21:51
    Sie kulminiert in diesen Spitzenleistungen und ihrer systematischen Vernetzung.
  • 00:21:58
    Aber sie geht nicht darin auf. Kultur ist auch
  • 00:22:02
    schon auf den Entwicklungsstufen ganz und gar Kultur,
  • 00:22:05
    auf denen Ornomato poetische Wortbildung dominiert,
  • 00:22:11
    wie etwa die Benennung eines Flusses nach dem Klang seiner Wellen,
  • 00:22:15
    Mississippi.
  • 00:22:19
    Oder wo das Zahlwort für die Zahl 20
  • 00:22:21
    bedeutet,
  • 00:22:23
    ein Mann ist fertig
  • 00:22:25
    Nämlich so gedacht, dass man einmal an den zehn Fingern
  • 00:22:29
    und zehn, zehn entlanggezählt hat, dann hat man 20.
  • 00:22:33
    Und dann ist der Mann umrundet. Wo Augenblicksgötter ihre magische Macht auf den ausüben,
  • 00:22:41
    der ihnen begegnet, wo der Bandzauber durch den Fetisch
  • 00:22:45
    wirkt und das rituelle Ornament noch nicht ästhetisch wahrgenommen wird,
  • 00:22:51
    sondern als Hindernis die Schwelle zu übertreten.
  • 00:22:55
    Nicht zuletzt, Kultur ist auch im unscheinbaren Vollzug des Alltags
  • 00:23:00
    schon ganz und gar Kultur
  • 00:23:03
    Und dies allein schon dadurch, dass auch der Alltag sprachlich vollzogen wird.
  • 00:23:11
    Dieser denkbar weit gefasste Kulturbegriff hat seine methodische Grundlage,
  • 00:23:16
    man kann sagen, seinen methodischen Gegenhalt in der Weite des Symbolbegriffs.
  • 00:23:22
    Im Unterschied zu einem spezifischen Begriff des Symbolischen,
  • 00:23:26
    wie wir ihn etwa in der Kunstgeschichte oder in der Literaturwissenschaft antreffen,
  • 00:23:32
    legt Kassierer, wie er sagt, ein allgemeineres Verständnis zugrunde,
  • 00:23:38
    nämlich Symbol ist der Ausdruck eines Geistigen,
  • 00:23:43
    durch sinnliche Zeichen und Bilder in seiner weitesten Bedeutung
  • 00:23:49
    Das war ein Zitat. Kassierer begreift Symbolisierung,
  • 00:23:54
    generell als Vermittlung von sinnlichem und geistigem, eine Vermittlung,
  • 00:23:59
    die sich in den unterschiedlichsten Materialien oder Medien abspielt,
  • 00:24:04
    in artikuliertem Laut, in Bildern, in materiellen Dingen,
  • 00:24:09
    in Ritualen, Zeremonien und Techniken,
  • 00:24:13
    überhaupt in Handlungen aller Art,
  • 00:24:16
    in Institutionen,
  • 00:24:18
    in Formeln und so weiter,
  • 00:24:22
    ein Symbol liegt demnach in jeder Art der Versinnlichung von Sinn
  • 00:24:29
    Kassierer begreift mit seiner Theorie der kulturellen Symbolismen,
  • 00:24:33
    das Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Sinn,
  • 00:24:36
    als Einheit von geistigem Bedeutungsgehalt und sinnlichen Zeichen,
  • 00:24:41
    so nennt er das.
  • 00:24:44
    Eine Pointe dieser Theorie liegt darin,
  • 00:24:46
    dass Symbolisierung nach diesem Verständnis nichts Seltenes und Spezielles ist,
  • 00:24:53
    das in abgehobenen Bereichen hier und dort einmal stattfände.
  • 00:24:58
    Sie ist vielmehr
  • 00:24:58
    die durchgängige Vermittlung unserer Welt
  • 00:25:04
    Die symbolische Selbsttätigkeit des Menschen hält sich nach Kassierers Verständnis durch.
  • 00:25:09
    Von der elementaren Wahrnehmung bis zur dann höchst entwickelten Werken.
  • 00:25:16
    Was auch immer wir mit Sinn und Verstand tun,
  • 00:25:18
    wir bewegen uns in Symbolen.
  • 00:25:22
    Schon alles sinnlich wahrgenommene ist, nach dieser Einsicht als sinnliches Erlebnis
  • 00:25:28
    immer schon Träger eines Sinnes.
  • 00:25:32
    Das Wahrgenommene wird augenblicklich als sinnvoll wahrgenommen
  • 00:25:36
    Cassierers Symbolbegriff und damit sein ganzer Ansatz hat somit den Anspruch klarzumachen,
  • 00:25:44
    dass für uns als Wesen,
  • 00:25:46
    die wir unsere Wirklichkeit und sei es nur im Sprechen gestalten,
  • 00:25:50
    im Prinzip alles zum Träger von Bedeutung werden kann.
  • 00:25:56
    Ja, und eigentlich werden muss. Mit diesem grundsätzlichen und ganz allgemeinen
  • 00:26:02
    Programm ist von vornherein dem Verständnis der ganzen Komplexität und Differenzierung,
  • 00:26:10
    in der uns die Kultur vorliegt,
  • 00:26:12
    in der uns Kulturen vorliegen,
  • 00:26:14
    eine systematische Chance eröffnet
  • 00:26:17
    Denn von Anfang an haben wir es hier mit einem Konzept
  • 00:26:20
    der historischen und aktuellen Vielfalt, kultureller Formen zu tun.
  • 00:26:26
    Kultur ist demnach, als Monokultur nicht denkbar,
  • 00:26:30
    sondern sie ist immer schon durch interne Pluralität charakterisiert.
  • 00:26:34
    Sie prägt sich aus in einer Vielfalt von Gestaltungsweisen.
  • 00:26:39
    Aber sie ist darin eben auch kein beliebig auf häufbares Aggregat,
  • 00:26:46
    sondern ein System von Gestaltungsweisen, sagt Kassierer,
  • 00:26:50
    sehr bewusst,
  • 00:26:51
    dass er diesen Ausdruck von Kant
  • 00:26:53
    aus der dritten Kritik übernimmt
  • 00:26:58
    Was Kassierer symbolische Formen nennt, sind die regelmäßig wirkenden,
  • 00:27:03
    typischen Weisen, von Symbolisierung, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet ausarbeiten.
  • 00:27:13
    Man kann eigentlich sagen, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet gewissermaßen institutionalisieren. Und er definiert in einer Formulierung,
  • 00:27:23
    die ich ihnen gerade schon zu Anfang angekündigt habe und aus der
  • 00:27:27
    ich mich auch zur Bestimmung des Symbolbegriffs zwischendurch schon bedient habe,
  • 00:27:33
    jetzt zitiere ich,
  • 00:27:37
    Unter einer symbolischen Form soll jede Energie des Geistes verstanden werden,
  • 00:27:43
    durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes,
  • 00:27:47
    sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird.
  • 00:27:52
    Zitat Ende. Das ist die klassische Stelle zur Bestimmung der symbolischen Form.
  • 00:28:00
    Hier haben wir den entscheidenden Hinweis auf die Verknüpfung von Geist und
  • 00:28:05
    sinnlichem Medium, geistiger Bedeutungsgehalt und konkretes, sinnliches Zeichen.
  • 00:28:12
    Fungieren immer zusammen in dem vielgestaltigen Projekt der Bedeutung
  • 00:28:16
    als das Kassierer die menschliche Kultur begreifen will
  • 00:28:22
    Wir sind damit beim tragenden Begriff seiner gesamten Kulturphilosophie.
  • 00:28:28
    Als symbolische Form wird also, wie wir sogleich bemerken,
  • 00:28:33
    nicht der Einzelne geformte Bedeutungsträger bezeichnet.
  • 00:28:39
    Symbolische Formen sind die geistigen Energien, durch die es zur Symbolisierung kommt.
  • 00:28:46
    Kassierer spricht auch von geistigen Energien des Bildens,
  • 00:28:51
    von Form gebenden geistigen Energien,
  • 00:28:54
    die sich in den kulturellen Leistungen manifestieren und er meint damit eben,
  • 00:28:59
    wie gesagt,
  • 00:28:59
    regelmäßige typische Weisen des Verstehens und Erzeugens
  • 00:29:04
    von Bedeutung
  • 00:29:07
    Wenn es dann darum geht, die auch zu benennen,
  • 00:29:10
    dann nennt er als symbolische Formen meistens Mythos und Religion Sprache, Kunst und Wissenschaft.
  • 00:29:23
    Er versteht aber auch Geschichte, Recht und Moral und Wirtschaft als symbolische Formen.
  • 00:29:32
    Und er versteht auch die Technik als eine symbolische Form.
  • 00:29:38
    Er nennt diese Energien des Bildens auch geistige Formen oder geistige Grundfunktionen und ist überrascht angesichts seiner Materialreichen,
  • 00:29:46
    historischen systematischen Darstellung der Kulturentwicklung nicht, dass er grundsätzlich,
  • 00:29:53
    wie er selbst sagt, auf eine philosophische Systematik des Geistes aus ist.
  • 00:30:00
    Diese und ähnliche Bestimmungen,
  • 00:30:02
    wie auch die Auffächerung in das System der symbolischen Formen,
  • 00:30:07
    Mythos, Religion, Sprache, Kunst und Wissenschaft,
  • 00:30:11
    um die Mindesten zu nennen,
  • 00:30:14
    lassen bei aller Nähe des theoretischen Programms zu kannt,
  • 00:30:18
    auch starke methodische Analogien zu Hegel erkennen.
  • 00:30:22
    Auf Hegelsphänomenologie des Geistes bezieht sich Kassierer etwa ausdrücklich,
  • 00:30:26
    wo er das ganze Gebiet der Kultur skizziert und dann eben sagt,
  • 00:30:33
    Die Sprache, der Mythos, die theoretische Erkenntnis,
  • 00:30:38
    sie alle werden hier als Grundgestalten des Objektiven Geistes genommen.
  • 00:30:44
    Zitat Ende. Und damit ist noch einmal der systematische Gedanke
  • 00:30:49
    bekräftigt, auf den ich schon eingangs Wert gelegt habe.
  • 00:30:54
    Ebenso wie anhand von Kanzargument zur Widerlegung des Idealismus kann man
  • 00:31:00
    an Kassierers programmatische Anknüpfung an Hegelslehre vom Objektiven Geist belegen,
  • 00:31:06
    dass sich Kassierer in seiner Theorie der Kultur den Geist ganz offenbar nicht vorstellen will,
  • 00:31:14
    nach der Art von etwas Ätherischem, das sein abgehobenes Eigenleben führt.
  • 00:31:20
    Nein, Geist haben wir,
  • 00:31:23
    nach dieser Theorie immer nur in materialisierter Form,
  • 00:31:27
    immer nur in den konkreten, sinnlichen Formen menschlicher Tätigkeit,
  • 00:31:32
    eingearbeitet in die Produkte unserer Gestaltung.
  • 00:31:38
    Geist ist die ins sinnliche Medium entäußerte Energie der Gestaltung,
  • 00:31:43
    er ist nirgends anders zu haben als im gestalteten Material.
  • 00:31:49
    Dafür steht der traditionelle Ausdruck Werk
  • 00:31:54
    Das Werk, das Kassierer als Synonym mit dem Begriff
  • 00:31:57
    des Symbols gelegentlich einsetzt. Und daran kann man dann auch
  • 00:32:02
    wiederum etwas weiteres erkennen, nämlich die Weite des Werkbegriffs.
  • 00:32:07
    Steht als Leistung des Animal-Symbolikum im Zentrum seines philosophischen Interesses.
  • 00:32:13
    Das Werk ist als Träger von Bedeutung das Element, der von menschengemachten Welt.
  • 00:32:21
    Das in der sozialen Einbindung immer auch kommunikative, hervorbringen von Werken,
  • 00:32:27
    dass Kassierer nicht anders, denn als Tat begreifen kann,
  • 00:32:32
    ist als Tat, aber zugleich als Effekt der Freiheit begriffen.
  • 00:32:42
    Und damit bin ich bei meiner Antwort auf die Frage nach
  • 00:32:45
    dem philosophischen Sinn und der aktuellen Anschlussfähigkeit der Philosophie der symbolischen Formen,
  • 00:32:52
    bei der Antwort,
  • 00:32:53
    dass es sich in dieser Anthropologie des kulturellen Wesens Mensch um eine Philosophie der Freiheit handle.
  • 00:33:04
    Man darf dazu sagen, in der philosophischen Geschichtsschreibung ist ernst
  • 00:33:08
    Kassierer als Theoretiker der Freiheit noch nicht angekommen
  • 00:33:13
    Er passt auch nicht in das konventionelle Schema, gemäß dem
  • 00:33:17
    wir unsere Debatten führen. Weder zur Willensfreiheit, noch zur Handlungsfreiheit,
  • 00:33:24
    hat sich Ernst Kassierer in der Terminologischen Distinktion und in der Ausführlichkeit geäußert,
  • 00:33:32
    die wir heute erwarten, wo immer wir einen Denker,
  • 00:33:35
    einen eigenen Beitrag zum Problem der Freiheit zuschreiben.
  • 00:33:39
    Auch zur politischen Freiheit, in der die institutionell organisierte und
  • 00:33:44
    rechtlich garantierte Dimension der Handlungsfreiheit zu sehen wäre,
  • 00:33:49
    gibt es bei ihm keine extensive,
  • 00:33:51
    theoretische Beschäftigung
  • 00:33:54
    Wenn auch die Rede von 1928 über die Idee der
  • 00:33:59
    Republikanischen Verfassung in Nutze schon sehr viel von dem enthält,
  • 00:34:05
    was man in einer Theorie des politischen braucht.
  • 00:34:13
    Es könnte unter der Bedingung der Dominanz des gerade erwähnten
  • 00:34:18
    konventionellen Debattenschemas, der Freiheitstheorien ein verharmlosender Zungenschlag herausgehört werden.
  • 00:34:27
    Wenn ich Kassierers Beitrag zum Begriff der Freiheit als das bezeichne,
  • 00:34:31
    was er zweifellos ist und was seiner Rezeption im Rahmen der zeitgenössischen Debatten bisher im Wege gestanden haben dürfte.
  • 00:34:42
    Nämlich eine Theorie der kulturellen Freiheit oder der Freiheit in der Kultur.
  • 00:34:51
    Diese Charakterisierung könnte so verstanden werden,
  • 00:34:57
    als gäbe es da einen ganz besonderen Bereich,
  • 00:35:00
    neben anderen Bereichen,
  • 00:35:02
    die Kultur und hier im markanten Unterschied zu einem jeden anderen Bereich,
  • 00:35:09
    könnte der Mensch gleichsam aufatmen und wie in einem Treibhaus oder
  • 00:35:14
    einem Naturschutzpark
  • 00:35:17
    Freiheit entwickeln
  • 00:35:20
    Gegen ein solches Missverständnis. Muss man aber nur von dem Gedanken Gebrauch machen,
  • 00:35:26
    den ich soeben im ersten Teil des Vortrags als Kassierers eigentlichen Gedanken zu vergegenwärtigen versucht habe.
  • 00:35:35
    Das mit Kassierers Begriff der Kultur nicht bloß der spezifische Bereich der Artikulation verfeinerter, geistiger,
  • 00:35:43
    vorwiegend ästhetischer Ansprüche auf Kreativität, Kommunikation und Unterhaltung gemeint sei.
  • 00:35:51
    Wie sie sich in den hochkulturellen Medien und künstlerischen Spitzenprodukten vergegenständlichen,
  • 00:36:00
    sondern vielmehr die elementare Bestimmung des Menschen,
  • 00:36:03
    die grundlegende in alle Tätigkeiten der Menschen ausdifferenzierte Funktion der produktiven Lebensgestaltung.
  • 00:36:12
    Alles das, was der Mensch als tätiges Wesen aus den
  • 00:36:14
    vorgefundenen Verhältnissen und dabei immer auch aus sich selber macht.
  • 00:36:20
    Mit Blick auf seinen systematischen Vorschlag,
  • 00:36:23
    die so verstandene Kultur als Ort der Freiheit zu begreifen,
  • 00:36:28
    ist zugleich ein ebenso elementares Verständnis von Freiheit vorgegeben, wie sich dann herausstellen wird,
  • 00:36:36
    dass das Verständnis von Freiheit damit immer konkret sein muss.
  • 00:36:46
    Wenn wir festhalten, Kassierer begreift die Kultur,
  • 00:36:51
    die nach seinem Begriff die Lebensform des Menschen ist,
  • 00:36:54
    als Form der Freiheit,
  • 00:36:57
    dann heißt das gemäß seiner Fundierung der Kultur,
  • 00:37:00
    in der symbolischen Aktivität des menschlichen Geistes,
  • 00:37:04
    er begreift jeden elementaren geistigen Akt,
  • 00:37:08
    jeden Akt der Symbolisierung,
  • 00:37:10
    sowohl als Akt der Befreiung,
  • 00:37:14
    wie als Akt der Konstitution eines Freiheitspotenzials
  • 00:37:20
    Ich habe in meinem kleinen Kassiererband von 2013, der gerade erwähnt wurde,
  • 00:37:26
    nach längerer Zeit des Überlegens diesen Grundlegungsgedanken schließlich als Kassierers Distanzapriori bezeichnet.
  • 00:37:36
    Und das ist jetzt meinerseits ein ernst gemeinter Vorschlag,
  • 00:37:39
    wie man diesen Gedanken auf seinen Begriff bringen kann.
  • 00:37:42
    Kassierers Distanzapriori. Kassierer betont mit Blick auf die produktive Gestaltung in Symbolisierungsprozessen aller Art
  • 00:37:52
    , nämlich ein entscheidendes Moment. In der Verobjektivierung zu der
  • 00:37:58
    es bei der Produktion wie bei der Rezeption von Symbolen kommt,
  • 00:38:06
    gewinnt der Mensch Distanz zu seinen Eindrücken und damit zu den Verhältnissen,
  • 00:38:13
    in denen er sich immer vorfühlt,
  • 00:38:15
    findet und zu sich selbst.
  • 00:38:18
    Und dieser Distanzgewinn in verobjektivierter Bedeutung ist, ist bereits Gewinn von Freiheit.
  • 00:38:27
    In der Objektdistanzierung kommt es komplementär zu einem distanzierten Selbstverhältnis
  • 00:38:34
    und durch beides zusammen eröffnet sich ein Spielraum für das Agieren
  • 00:38:41
    Durch jeden Akt der Symbolisierung gewinnen wir demnach in der distanzierenden Verobjektivierung
  • 00:38:47
    einen Spielraum der Verfügung, der zugleich eine Reflexionsspanne eröffnet.
  • 00:38:54
    Und von dem wir daraufhin ausgehen und eine neue Ebene
  • 00:38:59
    des Objekt, des Selbst- und des Weltverhältnisses definieren.
  • 00:39:04
    Kassierer konzipiert so in seiner Philosophie der Symbolischen Formel Symbolisierung als
  • 00:39:10
    den funktionalen Nukleus des Gewinns von Freiheit durch Distanz.
  • 00:39:20
    Ich möchte das einen genialen Gedanken nennen. Besonders anschaulich
  • 00:39:26
    hat er die Pointe seines Gedankens von Freiheit durch Distanz,
  • 00:39:30
    in seinem großen und methodologisch grundlegenden Aufsatz die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt,
  • 00:39:36
    von 1932 gemacht.
  • 00:39:39
    Nicht allein bildet sich in der sprachlichen Benennung erst der dingliche Gegenstand so,
  • 00:39:48
    dass wir im Sprechen über ihn verfügen können,
  • 00:39:53
    auch für das Verhältnis des Sprechenden zu seinen Zuständen beispielsweise zu seinen Affekten gilt,
  • 00:40:04
    dass die sprachliche Artikulation zur Verobjektivierung und damit zum freien Umgang mit einem Problem führt.
  • 00:40:14
    Es ist etwas anderes, ob ich wütend bin oder ob ich sage, ich habe Wut.
  • 00:40:20
    Schon da fängt die Distanzierung und die Befreiung von meinem mich
  • 00:40:24
    ansonsten möglicherweise beherrschenden Affekt an. Kassierer gibt dafür in einer Fußnote einen meines Erachtens höchst signifikantes Beispiel,
  • 00:40:36
    nämlich das Beispiel eines kleinen Kindes,
  • 00:40:40
    das zunächst einmal Vor allen Dingen beim Anblick fremder Männer,
  • 00:40:45
    Angst zu haben pflegte und dann die begütigende Formel,
  • 00:40:50
    die die Erwachsenen ihm sagten, du musst keine Angst haben,
  • 00:40:53
    keine Angst, selbst gewissermaßen als magische Beschwörungsformel übernimmt.
  • 00:41:00
    Wenn also dieses kleine Kind sich von seiner Furcht vor fremden Menschen durch die rituelle Wiederholung der sprachlichen Formel,
  • 00:41:08
    keine Angst, offenbar zu distanzieren lernt,
  • 00:41:14
    sich also durch das Aussprechen dieser Worte selbst ein Medium verschafft,
  • 00:41:19
    in dem es sich zu den bedrohlichen Eindruck verhalten,
  • 00:41:23
    indem es Mut fassen kann, dann ist genau darin ein exemplarischer Fall,
  • 00:41:28
    jener Befreiung zu sehen, die Kassierer als den Effekt,
  • 00:41:32
    jeder symbolischen Artikulation geltend macht und offensichtlich an der Sprache besonders prägnant schildern kann.
  • 00:41:42
    Im Essay On-Man 1944, der konzisen Gesamtrevision der Philosophie der symbolischen Formen, stellt er,
  • 00:41:52
    deren Leitmotiv, dann in den historischen Maßstab der Kulturentwicklung.
  • 00:41:57
    Die gemeinsame Funktion jeder Symbolisierung von den Elementaren und Zunächst noch unscheinbar bleibenden,
  • 00:42:05
    mentalen Leistungen bis zu den anspruchsvollsten Werken ist Befreiung. Und die Pathos-Formel,
  • 00:42:17
    die Kassierer dafür findet und die man an verschiedenen Stellen,
  • 00:42:21
    wo er seinen eigenen Ansatz systematisch zusammenfasst, immer wieder findet,
  • 00:42:24
    lautet Befreiung vom Bloßen Eindruck zur selbsttätigen Artikulation im Ausdruck.
  • 00:42:34
    Und der Weg, den das durchlaufen muss,
  • 00:42:37
    Befreiung vom bloßen Eindruck zur selbsttätigen Artikulation im Ausdruck ist,
  • 00:42:43
    in jedem Fall Gestaltung.
  • 00:42:46
    Deswegen auch der Ausdruck Philosophie der symbolischen Formen. Diese Pathos Formel taucht also,
  • 00:42:53
    wie gesagt, bei Kassierer mehrfach dort auf,
  • 00:42:56
    wo er sein Projekt einer Philosophie der symbolischen Formen programmatisch beschreibt.
  • 00:43:04
    Und sie ist zu verstehen, als die Markierung jenes Erkenntnis
  • 00:43:10
    theoretisch nur konstruierbaren Grenzzustandes von Unmittelbarkeit Von Unmittelbarkeit als Kulturlosigkeit als Distanzlosigkeit,
  • 00:43:24
    könnte man sagen. In welchem uns die Dinge und Verhältnisse
  • 00:43:29
    als noch amorphe Reizüberflutung gleichsam auf den Leib gerückt wären.
  • 00:43:34
    Von diesem Grenzzustand abgegrenzt ist die Formel des Gewinns von Freiheit durch Artikulation.
  • 00:43:43
    Dieser elementare Begriff von Freiheit durch Artikulation muss vorausgesetzt werden,
  • 00:43:49
    wo es bei Kassierer heißt,
  • 00:43:50
    die Kultur sei systematisch als Form der Freiheit und
  • 00:43:55
    historisch als Prozess der Fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen
  • 00:44:01
    zu verstehen
  • 00:44:04
    Im System der Symbolischen Formen,
  • 00:44:07
    in der Vielfalt der symbolischen Formen, in Sprache,
  • 00:44:11
    Mythos und Religion, in Kunst, Wissenschaft, Technik,
  • 00:44:15
    Recht und Moral, tritt dem Menschen also nach Kassierer,
  • 00:44:20
    die eigene nach verschiedenen Gestaltungsmodi ausdifferenzierte, geistige Selbsttätigkeit entgegen.
  • 00:44:26
    Man könnte sagen, die geistige Selbsttätigkeit in verschiedenen Adregatszuständen.
  • 00:44:34
    In allen diesen Formen ist das Grundphänomen ausgeprägt,
  • 00:44:37
    sagt Kassierer,
  • 00:44:38
    und jetzt zitiere ich ihn
  • 00:44:40
    Dass unser Bewusstsein sich nicht damit begnügt,
  • 00:44:45
    den Eindruck des Äußeren zu empfangen, sondern dass es jeden
  • 00:44:50
    Eindruck mit einer freien Tätigkeit des Ausdrucks verknüpft und durchdringt.
  • 00:44:56
    Man erkennt hier die Wurzeln im kantischen Spontanitätsbegriff.
  • 00:45:02
    Man erkennt meines Erachtens auch andeutungsweise schon,
  • 00:45:06
    den Balkant sich dann vollziehenden Übergang von Spontanität in Autonomie.
  • 00:45:11
    Man sieht aber vor allem in dieser Bestimmung ist das
  • 00:45:14
    praktische Leitmotiv dieser Philosophie der Kultur zu erkennen,
  • 00:45:20
    nämlich freie Tätigkeit
  • 00:45:25
    So, also ist das nach meiner Lektüre zu verstehen,
  • 00:45:29
    dass Kassierer die Kultur als Ort und Vollzug der Freiheit begreift.
  • 00:45:35
    Jede symbolische Leistung geht auf die Spontanität des tätigen Geistes zurück
  • 00:45:41
    und verobjektiviert dessen Freiheit dann in den daraufhin gestalteten Formen,
  • 00:45:49
    als Verfügbarkeit,
  • 00:45:52
    damit auch als jederzeitige Revidierbarkeit und damit auch als
  • 00:45:58
    ein bearbeitbarer,
  • 00:45:59
    reflektierbarer Geltungsanspruch
  • 00:46:03
    In lauter Sphären, in denen die Menschen,
  • 00:46:05
    die gemeinsame Welt schaffen, die wir im Begriff der Kultur meinen.
  • 00:46:11
    Was in Kassierers Theorie instrumentiert ist, ist damit ein,
  • 00:46:17
    im epistimologischen, wie im praktischen Sinne, realistisches Freiheitsverständnis,
  • 00:46:23
    in dem der Dualismus von theoretischen und praktischen Leistungen tendenziell aufgehoben ist.
  • 00:46:31
    Die Grundfunktion der Freiheit ist demnach in einem elementaren Sinne
  • 00:46:35
    Handlungstheoretisch,
  • 00:46:38
    als Verfügung gefasst
  • 00:46:42
    In einem epistemologischen Zugriff, der im Sinne elementarer Praktizität mentaler
  • 00:46:47
    und kognitiver Leistungen, mit dem Modell der Handlung operiert.
  • 00:46:54
    Mit diesem denkbar elementaren Begriff verbindet sich meines Erachtens aber der systematische Vorzug,
  • 00:47:01
    dass das damit gegebene Freiheitsverständnis, wie gesagt,
  • 00:47:04
    konkret wird,
  • 00:47:05
    in den unweigerlich sinnfälligen und sogar teilweise wenigstens handgreiflichen Effekten,
  • 00:47:14
    der so verstandenen Freiheit
  • 00:47:17
    Blickt man auf den Raum und die Werke der Kultur,
  • 00:47:21
    diese tausendfachen Manifestationen,
  • 00:47:23
    symbolischer Tätigkeit, in ihrem stets unabsehbaren Formenreichtum,
  • 00:47:30
    so dürfte man kaum auf die Idee kommen,
  • 00:47:34
    das alles könnte sich auch aus bedingten Reflexen oder einem sonst wie gedachten neuronalen Determinismus ergeben haben.
  • 00:47:44
    So manche abstrakte Verselbstständigung erübrigt sich im Blick auf die Realität der menschlichen Kultur
  • 00:47:52
    und hier sehe ich gewissermaßen eine Antwort oder die Antwort auf die Frage,
  • 00:47:59
    wie weiter mit Kassierer.
  • 00:48:01
    Diesen Impuls vom Aufsuchen der Freiheit in tatsächlich manifestierten Aggregatzuständen
  • 00:48:09
    könnten wir für unsere Freiheitsdiskussion etwas lernen.
  • 00:48:16
    Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.
  • 00:48:19
    Es ist der so skizzierte Begriff von Freiheit in der Kultur
  • 00:48:23
    und es ist die an ihn gebundene Humanität,
  • 00:48:28
    die Ernstkassierer in der Davoser Disputation gegen Martin Heideger
  • 00:48:33
    zu verteidigen sucht
  • 00:48:35
    Heideger und Kassierer hatten vom 16. März bis zum 6. April
  • 00:48:41
    1929 gemeinsam die Davosa-Hochschulwochen zum Thema Mensch und Generation geleitet.
  • 00:48:49
    Man muss sich das vorstellen als eine frühe Form von Workshop,
  • 00:48:55
    diese Art von Workshops, die ihnen da,
  • 00:48:56
    wo es regelmäßig stattfanden und ein gebildetes, touristisches,
  • 00:49:01
    ebenso wie ein extra dazu anreisendes akademisches Publikum anzogen,
  • 00:49:09
    waren so eine Art von mehreren Dozenten,
  • 00:49:11
    meistens von zwei Dozenten
  • 00:49:13
    geleiteter Workshop
  • 00:49:16
    Die beiden, Kassierer und Heideger hatten, bevor sie einander
  • 00:49:20
    dann am 26. März in der berühmten Disputation gegenüber traten.
  • 00:49:27
    Beide eine Reihe von Vorträgen gehalten. Heideger Zukannt,
  • 00:49:33
    Kassierer als urbaner Herr, zu dem Themenkreis,
  • 00:49:40
    den sein Gesprächspartner in seinem Opus Magnum entwickelt hatte.
  • 00:49:45
    Die Veröffentlichung von Sein und Zeit lag zu diesem Zeitpunkt
  • 00:49:49
    zwei Jahre zurück
  • 00:49:52
    Der Autor des Buches hatte die an der Erkenntnis orientierte Fragestellung der abendländischen Philosophie für einen Skandal erklärt,
  • 00:50:02
    weil mit ihr die Trennung von Subjekt und Objekt und der
  • 00:50:05
    kathesische Dualismus zum Fundament der Wirklichkeit erklärt worden sei.
  • 00:50:12
    Heideger ist es darauf hin, um das ganzheitliche,
  • 00:50:16
    integrale in der Welt sein des menschlichen Daseins zu tun,
  • 00:50:21
    dass er im pragmatisch-praktischen Umgang mit den Dingen in der Sorge eines
  • 00:50:27
    zum Tode bestimmten Wesens um seine unmittelbare Existenz und in einer Freiheit sieht,
  • 00:50:36
    in welcher der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist.
  • 00:50:42
    Das Buch war, als die Überwindung der Subjekt und Bewusstseinsphilosophie damit auch als Triumph,
  • 00:50:49
    über den in der akademischen Philosophie noch dominierenden Neukantianismus verstanden worden.
  • 00:50:58
    Auch Kassierer zu dem Zeitpunkt seit zehn Jahren Ordinarius an der
  • 00:51:02
    Hamburgischen Universität und seit einem halben Jahr im Amt des Rektors
  • 00:51:09
    hatte seinen philosophischen Systementwurf weitgehend entwickelt
  • 00:51:14
    Die Philosophie der Symbolischen Formen lag in ihren ersten beiden Bänden.
  • 00:51:19
    Die Sprache 19023, das mythische Denken 1925 vor.
  • 00:51:25
    Der dritte Band über die Wissenschaft unter dem Titel Phänomenologie der
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    Erkenntnis war abgeschlossen und sollte im Herbst des Jahres erscheinen.
  • 00:51:35
    Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen wollte Kassierer,
  • 00:51:39
    wie ich es gerade skizziert habe,
  • 00:51:42
    nirgends anders suchen als in der Kultur,
  • 00:51:45
    im Rekurs auf die Funktionsbegriffe der Symbolisierung
  • 00:51:52
    Und wenn ich das so kurz gegeneinander skizziere, dann sieht man gleich,
  • 00:51:55
    dass die beiden Antagonisten der Disputation offenbar eine systematische Absicht miteinander teilen.
  • 00:52:04
    Denn die Überwindung des Dualismus ist auch das Übergeordnete,
  • 00:52:08
    man würde heute vielleicht sogar sagen, das meta-theoretische Interesse,
  • 00:52:12
    dass Kassierer mit seiner Philosophie der Kultur verfolgt.
  • 00:52:16
    Er will den Dualismus gegen den Heideger oponiert, gerade dadurch überwinden,
  • 00:52:23
    dass er die gesamte menschliche Wirklichkeit als System der Symbolisierungen durchdekliniert dabei
  • 00:52:32
    die durchgängige Struktur der Bindung geistiger Leistung an die sinnliche Medialität betont.
  • 00:52:42
    Wo also Geist ohne Sinnlichkeit, wo Geist ohne Materie,
  • 00:52:48
    wo geistiges deutlich gesagt ohne Körperliches nicht zu haben ist,
  • 00:52:52
    da kann man vielleicht wirklich sagen,
  • 00:52:54
    wenn es gelingt, diesen Ansatz durchzuführen,
  • 00:52:57
    ja,
  • 00:52:57
    dann kann das ein Kandidat für die Überwindung des Dualismus sein
  • 00:53:03
    Nehmen wir noch einmal den Locus-Klassikus zur Bestimmung der symbolischen Form,
  • 00:53:10
    unter einer symbolischen Form soll jede Energie des Geistes verstanden werden,
  • 00:53:17
    durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes,
  • 00:53:21
    sinnliches Zeichen geknüpft und diesen Zeichen innerlich zugeeignet wird.
  • 00:53:26
    Und in solchen Verknüpfungen, in solchen Komplexionen von Sinnlichkeit und Geistigem
  • 00:53:32
    , vollzieht sich die ganze menschliche Welt.
  • 00:53:37
    Oder nehmen wir als Schlagen des Indiz die programmatische Stelle aus
  • 00:53:42
    dem dritten Teil der Philosophie der symbolischen Formen,
  • 00:53:45
    wo es heißt, Ich zitiere,
  • 00:53:50
    das Verhältnis von Seele und Leib stellt das erste Vorbild und Musterbild für eine reinen symbolische Relation dar,
  • 00:54:01
    die sich weder in eine Dingenbeziehung noch in eine Kausalbeziehung umdenken lässt.
  • 00:54:08
    Hier gibt es ursprünglich weder ein Innen- und Außen noch
  • 00:54:13
    ein Vorher- oder nachher ein wirkendes oder ein bewirktes.
  • 00:54:19
    Hier waltet eine Verknüpfung,
  • 00:54:21
    die nicht aus getrennten Elementen erst zusammengefügt zu werden braucht,
  • 00:54:26
    sondern die primär ein sinnerfülltes Ganze ist,
  • 00:54:30
    das sich selbst interpretiert,
  • 00:54:32
    Zitat Ende
  • 00:54:34
    Eine starke Stelle,
  • 00:54:36
    deren Potenzial ich sicherlich auch dann heute Abend nicht ausgeschöpft hätte haben können,
  • 00:54:42
    wenn ich sie nicht erst am Ende meines Vortrags gebracht hätte,
  • 00:54:47
    die aber in aller Kürze doch so viel zweifellos zeigen kann,
  • 00:54:52
    das für Kassierer, der nicht dualistisch gefasste Leib,
  • 00:54:57
    das Modell ist, das dem Verständnis der Symbolrelation zugrunde gelegt werden soll.
  • 00:55:08
    Das aber bei Heidegger in der vermeintlichen Überwindung des Dualismus
  • 00:55:11
    der Leib und das Sinnliche
  • 00:55:14
    überhaupt keine Rolle spielen
  • 00:55:16
    Und dass sie Intersubjektivität,
  • 00:55:18
    nicht wie man das von einem Überwinder des Dualismus eigentlich erwarten dürfte,
  • 00:55:23
    von der Mutter-Kind-Symbiose her aufgebaut wird,
  • 00:55:27
    sondern überhaupt nicht phänomenologisch aufgebaut wird und allein in den Genealogisch
  • 00:55:33
    schon ziemlich späten und über dies pejorativen Formen des Mann und des Geredes Berücksichtigung finden,
  • 00:55:41
    hat die Affisionadus dieser Theorie überhaupt nicht gestört.
  • 00:55:47
    Nun, ich könnte jetzt an der Stelle ein neues Plateau,
  • 00:55:50
    der auseinandersetzung eröffnen. Und ich würde das auch sehr gern tun,
  • 00:55:57
    aber wir wollen bei Kassierer bleiben oder wieder zu Kassierer zurückkommen.
  • 00:56:01
    Und das alles, was ich jetzt hier skizziere und was man dem noch anfügen könnte,
  • 00:56:06
    kam in der Davosa-Disputation auch nicht ausdrücklich zur Sprache, sondern bildet deren Hintergrund.
  • 00:56:14
    Was aber zur Sprache kommt, ist das Verständnis von Freiheit.
  • 00:56:20
    Dabei lässt auch der Satz,
  • 00:56:22
    den Heidegger in der Davosa-Disputation entsprechend dem Protokoll von Bolno ausspricht,
  • 00:56:33
    Ich zitiere, dass die Freiheit nur ist und sein Kann in der Befreiung,
  • 00:56:40
    Zitat Ende, auf den ersten Blick über Einstimmung in einem wesentlichen Punkt vermuten.
  • 00:56:49
    Doch tatsächlich haben die beiden Kontrahenten widerstreitende Begriffe von Befreiung. Die Freiheit,
  • 00:56:58
    die Kassierer meint, ist die kulturelle Tätigkeit des Menschen,
  • 00:57:02
    die Gestaltung seiner eigenen Verhältnisse,
  • 00:57:05
    die immer zugleich objektive Artikulation und Selbstformung
  • 00:57:10
    mit einschließt
  • 00:57:12
    In polemischer Abgrenzung,
  • 00:57:15
    gegen das zu dieser Zeit bereits ausgewiesene Arbeitsgebiet seines Gesprächspartners,
  • 00:57:21
    legt Heidegger in der Disputation Wert auf die Bemerkung,
  • 00:57:25
    dass die Kultur für ihn den faulen Aspekt eines Menschen bezeichne,
  • 00:57:31
    der bloß die Werke des Geistes benutzt.
  • 00:57:34
    Das war ein Zitat. Den faulen Aspekt eines Menschen,
  • 00:57:38
    der bloß die Werke des Geistes benutzt.
  • 00:57:42
    Für ihn ist Kultur nichts anderes als ein Bereich des Uneigentlichen.
  • 00:57:48
    Man darf dann auch durchaus schon mal übersetzen, der Entfremdung,
  • 00:57:52
    Durch welchen dem Dasein die existenzielle Herausforderung verstellt ist.
  • 00:57:59
    Die Aufgabe der Philosophie sieht er daraufhin darin, ich zitiere,
  • 00:58:05
    gewissermaßen den Menschen zurückzuwerfen, in die Härte seines Schicksals, Zitat Ende. Unübersehbar,
  • 00:58:15
    dass Heideger in dieser Alternative zwischen der Konfrontation mit der Nichtigkeit
  • 00:58:21
    des menschlichen Daseins und dem Komfort des Partizipierens an der Kultur gerade das verkennt,
  • 00:58:29
    worum es Kassierer geht, Nämlich die elementare, produktive Arbeit,
  • 00:58:37
    die da die ganze Zeit an der Kultur,
  • 00:58:39
    in der Kultur geleistet wird.
  • 00:58:44
    Geistige Leistung ist es, was Kassierer in jedem Schöpferischen hervorbringen,
  • 00:58:48
    wie auch in jeder Aneignung von Werken und Taten,
  • 00:58:52
    als das Prinzip der Kultur begreift,
  • 00:58:56
    die deshalb für ihn Ort und Prozess der Befreiung sein kann.
  • 00:59:02
    Und um es in einem der Reizwörter von Heidegers Ansatz zu reformulieren,
  • 00:59:09
    in der symbolischen Artikulation Ah,
  • 00:59:12
    tikuliert sich der Mensch als das, was er eigentlich ist.
  • 00:59:18
    Heideger dagegen will nicht nur im Hinblick auf die philosophische Grundlegungsfrage,
  • 00:59:23
    wie er selber sagt, den Boden zu einem Abgrund machen.
  • 00:59:28
    Er will, wie er in seinen und Zeit in der Analyse des Todesbewusstseins gezeigt hat,
  • 00:59:34
    den Menschen radikal der Angst des nackten Daseins ausliefern,
  • 00:59:40
    um ihn eigentlich zu machen und ihn zu exponieren für
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    die Entschlossenheit im Augenblick
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    Es sollte sich nur allzu rasch und deutlich zeigen,
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    dass ihnen dieses Ästhetizieren, Dezisionistische Denken anfällig machte,
  • 00:59:59
    für die Faszination des törichterweise als revolutionär empfundenen Aufbruchs
  • 01:00:06
    1933. Für den Kantianer Kassierer ist die Angst,
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    keine Grundbefindlichkeit des Daseins. Er ist weit davon entfernt,
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    in ihr das Nadelöhr des sinnvollen Lebens zu sehen.
  • 01:00:22
    Er sieht in Angst nichts anderes als einen Affekt
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    Den es in der Artikulation zu bewältigen gilt. Und für ihn
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    gibt es auch keine solche von Heidiger hochgelobte Augenblicksfaszination. Er,
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    der den Sinn der Kultur geradezu in der Befreiung des Menschen von Angst und anderen unmittelbar wirkenden Eindrücken sieht,
  • 01:00:50
    weiß zugleich,
  • 01:00:50
    dass es auch für den Willen zur Veränderung mit den großen Ausbrüchen und Aufbrüchen niemals getan ist,
  • 01:00:58
    sondern allein mit der reformerischen Arbeit in den Institutionen der Kultur,
  • 01:01:02
    auf die sich der Anspruch auf Freiheit stützen und verlassen können muss.
  • 01:01:07
    Und die es
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    deshalb zu schützen gilt
  • 01:01:13
    So fiel meine Damen und Herren. Die jungen Studenten bei
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    der Davoser Disputation waren völlig hingerissen von Heidiger und der putschistischen Aufbruchsstimmung,
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    die er mit seinen suggestiven Äußerungen vermittelte.
  • 01:01:30
    Sie fanden den vernünftigen Kassierer langweilig. Der Hosa Disputation schien
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    ihnen mit einem klaren Punktsieg des Philosophen ausgegangen zu sein,
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    der schon vier Jahre später davon träumte,
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    der Führer des Führers sein zu können
  • 01:01:53
    Wie gut, dass wir uns die Freiheit nehmen,
  • 01:01:57
    dass in der Distanz anders einzuschätzen.
  • 01:02:01
    Ich danke Ihnen