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06.05.2015

Nietzsche als freier Geist

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  • 00:00:02
    Liebe Frau Wagenner, ganz herzlichen Dank für diese ausführliche Vorstellung.
  • 00:00:07
    Meine Geduld haben Sie ein bisschen strapaziert, aber jetzt kann
  • 00:00:12
    ich Ihre Geduld etwas strapazieren, meine Damen und Herren.
  • 00:00:14
    Dadurch, dass ich nicht nur über Litsche spreche,
  • 00:00:20
    sondern auch eine einleitende Bemerkung über einen Denker mache,
  • 00:00:24
    der in dieser Ringvorlesung gar nicht vorkommt.
  • 00:00:28
    Und zweitens will ich doch vorab darauf hinweisen,
  • 00:00:32
    dass Sie im Gang,
  • 00:00:34
    das ist mir erst bei der Lektüre des Textes heute aufgefallen,
  • 00:00:37
    im Gang doch merken,
  • 00:00:38
    woran ich augenblicklich arbeite,
  • 00:00:42
    nämlich über die Theorie der Humanität
  • 00:00:46
    Die Frage, meine Damen und Herren, wie weiter mit,
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    ist offenbar nicht von dem Zweifel angekränkelt, dass gar nichts mehr geht.
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    Tatsächlich darf man das so lange realistisch nennen, wie es
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    ohnehin irgendwie weitergeht. Über dies setzt jeder Versuch im wie immer
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    auch beschaffenen geistigen Raum etwas für beendet zu erklären,
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    energienfrei, die mit ziemlicher Sicherheit dazu führen,
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    dass etwas nicht in Vergessenheit gerät.
  • 00:01:22
    Allein damit schon dann
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    auch eine Fortsetzung hat
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    Die Probe auf Sexempel wird nun schon in Kürze,
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    Martin Heiliger, ermöglichen. Er hat sich ausweislich der schwarzen Hefte
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    nunmehr definitiv selbst zur einzigen Fortsetzung eines Unausdenkbaren anfangs erklärt.
  • 00:01:46
    Da auch die Fortsetzung so unbekannt und ausweglos wie der unbegreifliche Anfang ist,
  • 00:01:53
    hat Heidiger sich damit unwiederruflich selbst zum Ende von allem erklärt,
  • 00:02:00
    was ich überhaupt denken lässt.
  • 00:02:03
    Zugleich aber möchte er auch der Unvordenkliche
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    Anfang sein
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    Ging es hinter der Philosophie, nach dem Kriterium rationale Einsicht,
  • 00:02:13
    müsste sich Heiliger damit eigentlich erledigt haben. Aber ich sage voraus,
  • 00:02:20
    dass uns dadurch nicht das Glück beschieden ist oder beschieden sein wird, ihn wirklich los zu sein.
  • 00:02:30
    Es wird weiterhin Menschen geben, die uns weismachen wollen,
  • 00:02:33
    dass er ein Philosoph gewesen ist, womöglich noch der größte des 20. Jahrhunderts.
  • 00:02:41
    Erst vor wenigen Monaten habe ich von einem Hamburger Kollegen,
  • 00:02:45
    er ist nicht anwesend heute, ich hätte mich aber gefreut,
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    wenn er je wäre, gehört,
  • 00:02:50
    er schreibe an einem Buch über das Gespann der beiden wichtigsten Denker des 20. Jahrhunderts.
  • 00:02:57
    Nämlich über Wittgenstein und Heidegan. Gegen Wittenenstein ist meine Damen und Herren
  • 00:03:03
    nichts zu sagen. Er ist ein Denker von seltener Genialität,
  • 00:03:08
    sodass wir gelassen abwarten können,
  • 00:03:11
    wie spätere Generationen über ihn im Vergleich, sagen wir,
  • 00:03:15
    zu Perth oder James, Pflege oder Russell,
  • 00:03:19
    Vergleich zu Bergson, Hussal oder Kassierer, Whitehead oder Yui,
  • 00:03:25
    Plessner, Hannah Arendt oder Hans Blumenberg urteilen werden.
  • 00:03:29
    Aber Heidiger ist so viel,
  • 00:03:32
    das bitte ich nicht zu vergessen, so viel,
  • 00:03:35
    aber auch so wenig ein Philosoph wie Hitler,
  • 00:03:39
    ein Politiker ist
  • 00:03:40
    Doch selbst bei Hitler sehen wir, dass es Menschen gibt,
  • 00:03:44
    die dabei bleiben ihnen für eine historische Größe zu halten.
  • 00:03:50
    Und allein um ihnen vor Augen zu führen, dass sie sich irren,
  • 00:03:54
    ist es gut, wenn sich Historiker mit Heiliger befassen.
  • 00:03:59
    Aus dem gleichen Grund wird man sich natürlich eben auch mit
  • 00:04:02
    Heiliger beschäftigt. Wollte ich sagen, mit Hitler beschäftigen.
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    Und aus dem gleichen Grund ist es natürlich dann auch nachvollziehbar,
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    dass man sich mit Heiliger beschäftigen muss.
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    Allein um zu zeigen, dass es auf die Frage,
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    die in dieser Ringvorlesung gar nicht erst gestellt wird,
  • 00:04:20
    nämlich wie weiter
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    Mit Heidegger, ihr wisst keine philosophisch überzeugende Antwort geben kann.
  • 00:04:30
    Also kann man nur wünschen,
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    dass es endlich eine nicht nur politisch aufklärenden,
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    sondern auch in der sogenannten Sache seines Denkens kritischen Umgangs mit ihm gibt.
  • 00:04:44
    Friedrich Nietzsche, meine Damen und Herren,
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    habe ich schon vor nunmehr 25 Jahren zum philosophischen Klassiker erklärt.
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    Und zur Bestätigung meiner Überzeugung habe ich ihn mir
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    zu bevorzugten Gegenstand philosophischer Kritik erkogen
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    So ließ sich sein dezidierter Immoralismus als eine ästhetische Spielart eines
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    radikal-individualistischen Moralismus ausweisen. Und hinter seinem angeblich pluralistischen Perspektivismus kam
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    die Gewissheit von einer dominierenden Perspektive des Lebens zum Vorschein,
  • 00:05:26
    von der man nur unter Absehung von der Längs
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    zum Allgemeingut gewordenen kritischen Metaphysik behaupten könne,
  • 00:05:34
    diese Perspektive sei gar nicht metaphysisch
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    Vom Wählen zur Macht ließ sich zeigen,
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    Frau Wagner hat das gerade das Buch erwähnt,
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    dass es weder die phänomenale noch die Funktionalen Kriterien erfüllt,
  • 00:05:49
    die sowohl an den Willen wie auch an die Macht und erst recht an beide,
  • 00:05:54
    an den Willen und die Macht zu stellen sind.
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    Schließlich konnte erwiesen werden,
  • 00:06:00
    wie nachteilig es ist,
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    dass sich Nietzsche weder ernsthaft mit Spinosa noch mit Leibnitz noch
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    mit Kant oder Hegel beschäftigt hat und so mit seinem Gut
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    gemeinten Denken am Leitfaden des Leibes
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    in einem Privileg tredialen Physiologismus des Geistes
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    stecken bleibt
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    Der noch nicht einmal das plausibel machen kann, was Nietzsche selbst,
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    in hellsichtiger Weise kenntlich gemacht hat, nämlich das Bewusstsein,
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    wesentlich Mitteilung ist. Damit wäre Denken nichts anderes als das,
  • 00:06:40
    was in sachhaltigem Umgang von sich darin kultivierenden leiblichen Wesen
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    möglich und zunehmend auch notwendig wird, im Gang der Kultur.
  • 00:06:52
    Aber im Denken nahm Leitfaden des Leibes, so Itsarathusra ist charakterisiert,
  • 00:06:58
    wird aus dem die Kultur tragenden menschlichen Selbstbewusstsein,
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    auch abkürzend sagen, dem Ich, so spricht auch Zara Dustra.
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    Nur ein Spielzeug des einzelnen Leibes, von dessen Verbindung,
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    mit der allen Sinn und Geist tragen in Verbindung zum Korrespondierenden
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    anderen Leib gar keine Rede mehr sein kann.
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    So kann es schließlich auch nicht wundern,
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    dass Nietzsche trotz seines Produktiven Ausgangs von Kunst und Kultur systematisch bei einem wesentlich,
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    an den eigenen Leib und das eigene Schicksal gebundenen Individualismus stehen bleibt,
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    der mit partieller Blindheit gegenüber,
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    den das ich überhaupt erst ermöglichen,
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    den sozialen Bindungen geschlagen ist
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    So weiß er, die konstitutiven Leistungen der gemeinsamen Praxis,
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    zu der nicht nur die Sprache,
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    die Logik und das tradierte Wissen,
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    sondern auch die unser kulturelles Dasein,
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    tragende Technik gehören, so wenig zu schätzen,
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    dass er zu sträflich ahnungslosen Urteilen,
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    über das alle Individuen einbinden,
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    gesellschaftliche Leben und über die Unverzichtbarkeit des menschlichen Zusammenhangs neigt
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    Seine, sich bis in die letzten Schriften,
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    wiederholende Abwertung der Humanität ist, ganz abgesehen von ihrer ethischen Fragwürdigkeit,
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    ein Konstitutionstheoretisches Versagen ersten Rangs. Nicht zuletzt für einen Denker,
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    der noch in einem seiner späten Texte festhält,
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    dass es nichts außer dem Ganzen, ein Zitat.
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    Nichts außer dem Ganzen gibt. Dieses Versagen in Nietzsches
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    philosophischer Konsequenz ist auch deshalb gravierend,
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    weil es einen Verrat an seinem eminenten Ausgang bei sich selbst
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    Von diesem Ausgangspunkt, meine Damen und Herren, werde ich heute sprechen.
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    Und zwar, von dem sich in seinem Werk durchhaltenden Anspruch,
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    ein freier Geist zu sein. Die Konzeption des freien Geistes
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    ist eine bis zum äußersten geführte Philosophie der individuellen Lebensführung,
  • 00:09:27
    die aber nur unter den Konditionen der Menschheit möglich ist.
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    Doch eben die verfehlt Nietzsche nicht erst mit seiner
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    dem Wahnsinn bereits nahen Fantasterei
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    Von einer großen Politik. Schon vorher gibt er die innerliche
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    Verknüpfung von Individualität und Humanität, dadurch preist, dass er glaubt,
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    die Menschheit können nicht nur Epochen geschichtlich in zwei Hälften geteilt werden.
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    Die Stunde 0 ist eine solche,
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    der erträumte und der Zaradustra sollte das nächste Ereignis sein.
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    Bis dahin zählt die Menschheit eben nach einer alten Zeitrechnung.
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    Dann beginnt die neue Zeitrechnung für die Menschen der Zukunft
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    Sondern er teilt sie auch sozial und kulturell in zwei Hälften,
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    sodass die eine stumpf und träge am Ufer des Lebens ihre mechanische Arbeit tut,
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    während die andere als der wahre Strom des Daseins für die
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    fruchtbare Belebung und für die Entfaltung der schöpferischen Kraft des Neuen sorgt.
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    Mit dieser zwei Klassentheorie kultureller Produktivität fällt Nietzsche weit hinter alles
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    zurück, was die Philosophie seid,
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    so kreit
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    es ausmacht
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    Trotz allem bin ich der Ansicht, dass Nietzsche
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    zu den Großen, der philosophischen Überlieferung zu rechnen ist.
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    Dabei ist weniger von Belang, dass er sich in vielem
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    geirrt hat. Das ist, die wir wissen,
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    menschlich, allzu menschlich und tritt bei Großen mit,
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    auch in der Form, großer Irrtümer auf.
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    Entscheidend für Nietzsches philosophische Genie ist, dass er selbst ist,
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    in der Überzeugung es gäbe, letztlich nur das Ganze,
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    ich habe das gerade zitiert,
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    auch mit dem Ganzen aufnimmt,
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    ohne es freilich,
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    wie der Freiburger Provinzprophet im Ganzen
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    zu verwerfen
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    Er denkt an das Ganze. Nietzsche ist weder so gedankenlos,
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    noch so vermessen, die menschliche Welt mit ihrer Kultur,
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    ihrer Kunst, ihrer Wissenschaft und ihrer Philosophie als Ganzes abzutun.
  • 00:11:52
    Er schenkt ihr vielmehr seine eindringende Aufmerksamkeit,
  • 00:11:56
    um sich immer auch selbst für die Vielfalt der Kräfte und
  • 00:12:00
    Möglichkeiten und sich mit ihnen,
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    der sich in Widersprüchen entfalten,
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    in Dynamik des Lebens
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    zu öffnen
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    Mark Dietsche, in manchem auch verkürzt und ungerecht urteilen,
  • 00:12:13
    wie in seiner abschätzigen Bewertung der Metaphysik,
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    der Wahrheit oder der Religionen oder auch in seiner Bildungsbürgerlichen Achtlosigkeit gegenüber,
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    der alles Verändernden, Dynamik der Technik,
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    insbesondere in seiner Zeit, die er überhaupt nicht wahrnimmt,
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    obwohl er zur Apotheke geht,
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    der Brille trägt und mit dem Zug fährt.
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    Er ist dennoch frei, von dem alles philosophieren,
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    vernichtenden, ressentiment gegenüber dem Ganzen des Seinenden,
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    wenn auch leider nicht immer gegenüber dem Ganzen der Mensch hat
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    So vielseitig, Nietzsches, Begabung als Künstler auch ist.
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    Er bleibt in seiner diagnostischen Anstrengung, ebenso wie in seiner existenziellen Hingabe,
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    an einen visionäres Programm auf kritische Einsichten, bezogen und sucht niemals bloß.
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    Es war immer auch, aber niemals bloß mit rhetorischen,
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    sondern immer auch mit argumentativen Mitteln zu überzeugen.
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    Das gilt sogar für die von ihm geschaffene Kunstfigur des Sarah Tusser,
  • 00:13:26
    der sich die sich in ihren Reden eben der Rationalität bedient,
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    die bereits in den mythischen Narrativen der Altorientalischen Religionen bestimmend war und dem Glauben der Juden,
  • 00:13:41
    der Christen und der Moslems bis heute wirksam ist.
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    Sehen wir genau hin, dann will Nietzsche die Religionen von ihrem Selbstwiderspruch,
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    wie er ihn sieht, der Verachtung des Lebens befreien.
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    Es ist der Selbstwiderspruch,
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    den Heiliger erneut in die Philosophie hineinträgt,
  • 00:14:00
    mit der Wohlfallenbehauptung Nietzsche
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    sei nicht radikal genug
  • 00:14:05
    Leedges Zugehörigkeit zur Philosophie zeigt sich am deutlichsten in seiner Selbstauszeichnung als freier Geist.
  • 00:14:15
    Als freier Geist entfaltet er seine kritischen Injektiven, mit denen
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    er aktuell wirksam werden will. Dafür braucht er,
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    so sehr er von seiner Singularität überzeugt sein mag,
  • 00:14:29
    andere, die ihn verstehen und seinen Impuls verstärken.
  • 00:14:33
    Somit hält er, wie es zur Tradition des freien Geistes
  • 00:14:39
    gehört,
  • 00:14:41
    Für unumgänglich. Also vermag er nicht nur bei Heraklied und Sokrates anzusetzen,
  • 00:14:49
    sondern weiß auch die Verdienste der Sophestik zu schätzen,
  • 00:14:53
    deren Exponenten er ebenso lebt,
  • 00:14:55
    lobt wie die Anwälte der Neuzeitlichen Aufklärung.
  • 00:14:59
    Damit setzt der freie Geist mit seiner Kritik nicht vor aller Philosophie in einem Zeitalter ein,
  • 00:15:08
    das keiner kennt, sondern mitten in der Philosophie,
  • 00:15:13
    der keine gänzlich andere Richtung,
  • 00:15:15
    wohl aber
  • 00:15:17
    neue Impulse geben will
  • 00:15:20
    Für meinen Plädoyer Nietzsche als freien Geist zu schätzen und zu verehren,
  • 00:15:25
    nehme ich mir jenes Hauptwerk vor,
  • 00:15:29
    dass er nach dem Zerradustra als einziges noch zu vollenden vermochte
  • 00:15:35
    und dass er für so wichtig erachtet,
  • 00:15:38
    ihm einen eigenen Kommentar beizugeben.
  • 00:15:41
    Das Hauptwerk ist jenseits von Gut und Böse und der Kommentar von Nietzsche
  • 00:15:49
    selber so ausgezeichnet, trägt den Titel zur Genialologie der Mora.
  • 00:15:55
    In seinem Hauptwerk,
  • 00:15:56
    in diesem letzten Hauptwerk steht außer Zweifel,
  • 00:16:01
    dass Nietzsche Aufklärer bleibt
  • 00:16:04
    Wenn er dabei Protagonist einer, wie er sagt,
  • 00:16:07
    neuen Aufklärung sein will, gestehe ich ihm diese Selbstaufwertung natürlich gerne zu.
  • 00:16:14
    Doch ich halte mich lieber an das Gut eingeführte Verständnis der alten Aufklärung,
  • 00:16:21
    von der Kant sagen konnte,
  • 00:16:23
    dass sie niemals zu einem Ende kommt,
  • 00:16:26
    auch wenn sich ihre Repräsentanten für noch so aufgeklärt halten.
  • 00:16:32
    Es ist, nebenbei gesagt, auch die Aufklärung,
  • 00:16:35
    zu der man vor allem den Mut benötigt,
  • 00:16:39
    sich seines eigenen Verstandes öffentlich zu bedienen
  • 00:16:44
    Diesen Mut hatte Nietzsche gewiss. Schon das ältere Verständnis von Aufklärung schließt ein,
  • 00:16:53
    dass sie sich auf alle Formen der Unkenntnissen und der Unmündigkeit bezieht.
  • 00:16:58
    Deshalb kann ja, muss sie auch die Affektiven und die leiblichen,
  • 00:17:03
    die sprachlichen, bildlichen und die ästhetischen Bedingungen unseres Verhaltens einbeziehen.
  • 00:17:09
    Warum sollte sie nicht auch nach der Reichweite und der Berechtigung von Wissen und Glauben
  • 00:17:16
    oder nach den Zielen des Handelns oder dem Sinn des Daseins
  • 00:17:20
    fragen?
  • 00:17:21
    Alles dies geschieht in dem Buch
  • 00:17:22
    Das tut sie, doch seit ihren Anfängen im frühen Griechenland schon. Weshalb sie,
  • 00:17:30
    nur weil sie auch nach dem Sinn von Aufklärung fragt,
  • 00:17:33
    plötzlich dialektisch werden soll oder gar wie Georg Lukasch meinte,
  • 00:17:38
    zur Gegenaufklärung überlaufen sollte.
  • 00:17:42
    Das ist mir ein Rätsel. Das zweite Hauptstück von Jenseits
  • 00:17:48
    von Gut und Böse trägt den Titel
  • 00:17:50
    Der freie Geist. Und es fiel nicht schwer,
  • 00:17:53
    es zum Zentralen Kapitel des Buches
  • 00:17:56
    zu erklären
  • 00:17:58
    Derjenige, der jenseits von Gut und Böse stehen können soll,
  • 00:18:03
    genau der einzige, von dem Nietzsche erwartet,
  • 00:18:07
    dass er ins Jenseits von Gut und Böse vorstoßen kann,
  • 00:18:11
    ist der freie Geist.
  • 00:18:13
    Und wenn man die anderen thematisch ausgezeichneten sieben Hauptstücke durchgeht, dann zeigt sich,
  • 00:18:21
    dass der freie Geist tatsächlich so etwas wie das Subjekt der ganzen Abhandlung ist.
  • 00:18:29
    Er ist es, der sich von den Vorurteilen der Philosophen,
  • 00:18:33
    von denen das erste Hauptstück Handel zu lösen hat,
  • 00:18:36
    ihm muss es gelingen, das religiöse Wesen abzulegen,
  • 00:18:41
    Und das ist im dritten Hauptstück geht.
  • 00:18:44
    Und er ist es auch auf denen, die von Nietzsche
  • 00:18:46
    im fünften Hauptstück einmal mehr rekonstruierte Naturgeschichte der Moral zuläuft.
  • 00:18:53
    Mehr noch. Denn der freie Geist,
  • 00:18:55
    wie es bei Nietzsche selbst der Fall ist,
  • 00:18:58
    seinen Lebenslauf als Gelehrter antritt,
  • 00:19:01
    darf er nach den Ausführungen im sechsten Hauptstück nicht lange nur gelehrter bleiben.
  • 00:19:07
    Was er stattdessen zu sein und zu werden hat,
  • 00:19:10
    wird in den drei nachfolgenden Kapiteln,
  • 00:19:12
    in denen Nietzsche sich selbst als freien Geist apostrophiert,
  • 00:19:17
    vor Augen geführt
  • 00:19:19
    Er hat seine, wie Nietzsche immer wieder sagt,
  • 00:19:22
    unsere Tugenden zu entwickeln. Muss hoch über den Völkern und Vaterländern
  • 00:19:27
    stehen und muss damit europäisch denken und schließlich letzter Abschnitt.
  • 00:19:35
    Er muss vornehmen sein. Im Übrigen, meine Damen und Herren,
  • 00:19:41
    bietet das Buch im vierten Hauptstück Sprüche und Zwischenspiele,
  • 00:19:45
    der übermütigsten Art.
  • 00:19:47
    Das sind Vorspiele des freien Geistes in Vorbereitung auf seine großen,
  • 00:19:52
    schweren Aufgaben,
  • 00:19:53
    an denen er nur zu leicht zerbrechen kann
  • 00:19:56
    Mir verrät der Autor,
  • 00:19:58
    dass die großen Epochen unseres Lebens dort liegen,
  • 00:20:02
    wo wir, und da sehen Sie wieder den Mut,
  • 00:20:04
    den die Aufklärung benötigt, wo wir den Mut gewinnen,
  • 00:20:08
    unser Böses, als unser Bestes umzutaufen.
  • 00:20:13
    Man liest auch, dass der freie Geist der Disziplin entspringt,
  • 00:20:18
    mit der er sein Herz hart bindet.
  • 00:20:22
    Er hat als ein Frommer der Erkenntnis zu gelten,
  • 00:20:26
    dessen Frömmigkeit mit dem Kirchenglauben, wie Nietzsche meint, unvereinbar ist.
  • 00:20:30
    Zitiere daher sein tiefer Unverstand gegen die Kirche,
  • 00:20:36
    wie er zum Typus freier Geist gehört,
  • 00:20:39
    als seine Unfreiheit
  • 00:20:42
    Die wiederum kann Nietzsche nicht daran hindern. Auch Jesus zu den freien Geistern zu rechnen,
  • 00:20:49
    der den Weg ins Jenseits der moralischen Werte weist.
  • 00:20:53
    Jesus, ich zitiere, Jesus sagt zu seinen Juden,
  • 00:20:58
    das Gesetz war für Knechte, liebt Gott,
  • 00:21:02
    wie ich ihn liebe, als sein Sohn.
  • 00:21:06
    Was geht uns Söhne Gottes, die Moral an?
  • 00:21:10
    Zitat Ende. Das Buch schließt mit einem lyrischen Nachgesang aus hohen Bergen,
  • 00:21:17
    darin stilisiert sich der Sänger als einsam,
  • 00:21:20
    suchender den seine ganz auf das Grundstürzend, neugerichtete Jagd,
  • 00:21:26
    ins Jenseits aller bisherigen Werte lockt und von allem entfernt,
  • 00:21:30
    was ihm früher vertraut und teuer war.
  • 00:21:33
    Am Ende ist er mit seinem Alles-Durchborenen,
  • 00:21:36
    nur auf das höchste gerichteten Pfeil, zum Feind,
  • 00:21:40
    alles Gewohnten geworden, der sich allen Freunden und sich selbst entfremdet.
  • 00:21:46
    Er wohnt, wo niemand wohnt, zwischen fernstem Eis und Felsenreich.
  • 00:21:52
    Sie merken, dass das alles Zitate sind,
  • 00:21:54
    so könnte ich gar nicht formulieren.
  • 00:21:56
    In Sternen nah und dennoch am Abgrund
  • 00:22:00
    Hier wird es zur Erlebten und Erlittenen Gewissheit nur,
  • 00:22:04
    wer sich wandelt, bleibt mir verwandt.
  • 00:22:10
    Diese sich nach Adlerner Selbstoffenbarung einstellende Einsicht lässt dem Sänger
  • 00:22:16
    keine andere Wahl, als auf neue Freunde zu drängen.
  • 00:22:22
    Doch vor ist, vorerst ist nur mit einem Freund zu rechnen.
  • 00:22:26
    Das ist der von Nietzsche selbst geschaffene Zerratustra.
  • 00:22:31
    Mit dem Auftritt dieses Freundes ist die Erwartung verbunden,
  • 00:22:34
    die gefahrvolle Jagd ist einsam suchenden,
  • 00:22:37
    komme in der abgeklärten Ruhe jenes Augenblicks zum Stillstand,
  • 00:22:41
    in dem auch die Sonne am höchsten steht
  • 00:22:44
    Im Lebensmittag, wie Nietzsche, die stillgestellte Zeit in
  • 00:22:48
    der Mitte des Tages nennen, ist Hochzeit.
  • 00:22:51
    Ich könnte auch sagen, Hochzeit. Für Licht und Finsternis.
  • 00:22:56
    Nach größten Abenteuern der Einsamkeit bietet sie den Ausblick auf die Zukunft des einzigen freien Geistes,
  • 00:23:05
    den das lyrische Ich in der Sprache, das Gesicht,
  • 00:23:08
    Gedichts anerkennen kann, nämlich sich selbst, den Autor oder den Sänger.
  • 00:23:16
    Doch in diesem Moment, in diesem Moment, ist er nicht mehr allein.
  • 00:23:21
    Um Mittag war es, da wurde eins zu bei.
  • 00:23:25
    Der große Mittag bringt die Verdoppelung, das im existenziellen Kampf verwandelten Selbst des freien Geistes.
  • 00:23:32
    Im Schritt, der Schritt ins Jenseits von Gut und Böse
  • 00:23:36
    wird also durch die Selbstüberwindung des Individuums vollzogen,
  • 00:23:41
    dass sich in einem riskanten Lebensakt als Individuum neu zu erschaffen sucht.
  • 00:23:47
    Wenn es vornehmlich in der Paarung mit Zerratustra so erscheint,
  • 00:23:53
    als wäre die Individualität selbst überwunden,
  • 00:23:55
    so würde damit übersehen, dass jedes Individuum seinesgleichen,
  • 00:24:01
    also ein anderes Individuum braucht,
  • 00:24:03
    um sich
  • 00:24:04
    seine Eigenart bewusst zu werden
  • 00:24:07
    Es kommt zwar nicht umhin,
  • 00:24:09
    sich auch in sich selbst als wie Nietzscher an anderer Stelle sagt,
  • 00:24:13
    die Video, um zu erfahren,
  • 00:24:15
    es kann mit sich hadern und mit sich zur Rate gehen,
  • 00:24:18
    aber im Entschluss zur Tat präsentiert es sich ganz von selbst wiederum,
  • 00:24:24
    als individu.
  • 00:24:27
    Daran ist sie zumindest gedachte Gegenwart von anderen seiner selbst essentiell.
  • 00:24:36
    So viel Einsamkeit, der auch benötigen mag,
  • 00:24:39
    der freie Geist ist auch seinesgleichen,
  • 00:24:43
    auf andere freie Geiste angewiesen und ist mit ihnen
  • 00:24:47
    in einem Prozess wechselseitiger Aufklärung verbunden
  • 00:24:51
    Er betreibt eine radikale Selbstaufklärung im Bewusstsein, der Gegenwart anderer.
  • 00:24:58
    Und man darf zumindest Nietzsches Zerzerratustra so verstehen,
  • 00:25:01
    dass ihm vornehmlich daran liegt, durch seine Lehre und sein Beispiel in jedem,
  • 00:25:07
    in jedem, der ihn versteht, ein Ball,
  • 00:25:10
    ein Bestreben nach radikaler Selbstaufklärung in Gang zu setzen.
  • 00:25:16
    Diese Selbstüberwindung, in der ein freier Geist sich selbst erringt
  • 00:25:23
    oder in der ein freier Geist erst zu dem wird,
  • 00:25:26
    was ihm diesen Titel auch tatsächlich ermöglicht,
  • 00:25:32
    kann nur Im Kampf mit sich selbst erfolgen.
  • 00:25:36
    Zum freien Geist kann nur werden, wer seine Individualität auf sich nimmt,
  • 00:25:42
    wer sich zum Exempel steigert und in seiner einsamen Größe anderen,
  • 00:25:50
    anderen ein Beispiel gibt. Allein um Freunde zu werben,
  • 00:25:55
    gar um sie zu buhlen, wäre schon zu viel.
  • 00:25:57
    Man bleibt auf sich selbst bezogen und wirkt dadurch auf andere.
  • 00:26:04
    Der Nachtgesang, und damit ist die Schilderung des Buches beendet,
  • 00:26:07
    der Nachgesang ist das Metaproem,
  • 00:26:10
    auf die Bildungsgeschichte des freien Geistes
  • 00:26:13
    Der sich radikal von seinem Glauben und Wissen von seinen Werten
  • 00:26:18
    und Einstellungen von seinen Freunden und von sich selber löst,
  • 00:26:23
    um als einen in seiner Einsamkeit, neu geborener Mensch,
  • 00:26:28
    zusammen mit seinem aus sich herausgeschaffenen Alter, Ego eines anderen Menschen,
  • 00:26:33
    zu einer neuen sozialen und historischen Wirklichkeit und Wirksamkeit zu finden.
  • 00:26:40
    Eine unter dem Anspruch einer großen Aufgabe derart mit sich und seinesgleichen Ringender,
  • 00:26:46
    dabei auf eigene Weise zu sich selbst gelangender und somit wahrhaft frei gewordener Mensch,
  • 00:26:52
    hat auch genügend So, jedenfalls glaubt Nietzsche,
  • 00:26:56
    soziale Kompetenz, um Gesetzgeber zu sein.
  • 00:27:00
    Wer Nietzsche in der Genealogie,
  • 00:27:02
    den freien Geist als souveränes Individuum bezeichnet,
  • 00:27:09
    kann man aus der Analyse von jenseits wissen,
  • 00:27:12
    dass der Begriff der Souveränität selbst in der Konzentration auf den Einzelnen seine politische Bedeutung nicht verliert.
  • 00:27:26
    Das alles Verbindende Thema, das sollte dieser Blick auf jenseits
  • 00:27:29
    von Gut und Böse zeigen,
  • 00:27:32
    ist also der freie Geist
  • 00:27:35
    In seiner Herkunft, seinem Ansehen, seiner Aufgabe
  • 00:27:38
    und in der durch ihn möglichen Zukunft. Während menschliches,
  • 00:27:43
    allzu menschliches nach dem Untertitel ein Buch für freie Geister ist und
  • 00:27:47
    morgen geröte und fröhliche Wissenschaft zunehmend das offene und heitere des freien Geistes ausströmen sollen,
  • 00:27:56
    während sich Nietzsche im Zerratustra an eine mit größter literarischer Freiheit komponierten Mythos eines wiederkehrenden Propheten des freien Geistes versucht,
  • 00:28:06
    der die Zeit kommen sieht,
  • 00:28:08
    gekommen sieht,
  • 00:28:10
    den zur Erfahrung ihrer Freiheit gelangenden Individuen,
  • 00:28:14
    auch eine eigene
  • 00:28:14
    jeweils von ihnen selbst gefüllte Zukunft zu eröffnen
  • 00:28:18
    Ist jenseits die Programmbeschrift des Freien Geistes Parexellance.
  • 00:28:24
    In historischer Rekonstruktion und zeitkritischer Diagnose mit dem Vorsatz rigoroser,
  • 00:28:31
    der Selbstdisziplin und dem Gestus ultimativer Prognose wird entworfen,
  • 00:28:37
    wie der freie Geist zu verstehen ist,
  • 00:28:40
    was er von sich zu fordern hat und was jene,
  • 00:28:44
    die seinem extremen Selbstanspruch nicht gewachsen sind,
  • 00:28:49
    dann mit ihm zusammen von ihm
  • 00:28:50
    zu erwachen haben
  • 00:28:53
    Nietzsche, meine Damen und Herren,
  • 00:28:55
    hat sich bereits als Schüler mit dem Freiheitsproblem in einer Weise App befasst,
  • 00:29:01
    die seine spätere Kritik am abstrakten Bekenntnis zur Freiheit und seine
  • 00:29:06
    empathische Inanspruchnahme der individuellen Freiheit in den produktiven Akten des Lebens vorweg nimmt.
  • 00:29:14
    Also kann es nicht wundern,
  • 00:29:15
    dass in der Zeit seiner Arbeit an der Geburt der Tragödie
  • 00:29:19
    eine ergänzende Schrift, also 1872 eine ergänzende Schrift,
  • 00:29:24
    unter dem Titel Die Tragödie und die Freigeister plant.
  • 00:29:29
    Also hier taucht dieser Begriff
  • 00:29:31
    das erste Mal bei ihm auf
  • 00:29:34
    Mit Blick auf die höchst ambivalente Rolle, die Nietzsche,
  • 00:29:38
    in der publizierten Schrift, dem Exemplarischen, also publizierte Schrift,
  • 00:29:42
    Geburt der Tragödie, dem Exemplarischen Freigeist,
  • 00:29:46
    Sokrates zuschreibt, kann man nur bedauern,
  • 00:29:50
    dass er die geplante Betrachtung über die ethisch-politische Bedeutung des musikalischen Dramas,
  • 00:29:56
    so war der geplante Untertitel der geplanten Schrift, nicht ausgearbeitet hat.
  • 00:30:01
    Doch man darf davon ausgehen,
  • 00:30:04
    dass er in seiner nie nachlassenden Bewunderung und in seiner Gleichwohl
  • 00:30:09
    sich steigernden Kritik an Sokrates genügend seiner tiefen Ambivalenz gegenüber diesem Typus,
  • 00:30:20
    dass die Philosophie begründenden Freigeistes hinterlassen hat.
  • 00:30:24
    Das Motiv dazu hat er selbst in einer aufschlussreichen Notiz aus
  • 00:30:30
    dem Jahre 1874 offengelegt und ich zitiere, Sokrates,
  • 00:30:36
    um es nur zu bekennen, ist mir so nahe,
  • 00:30:40
    dass ich fast immer einen Kampf mit dem Kämpfe.
  • 00:30:46
    Sokrates ist mir so nahe,
  • 00:30:51
    dass ich fast immer einen Kampf mit dem Kämpfe In der Einstellung
  • 00:30:57
    des freien Geistes zur Philosophie bleibt diese Konstellation von existenzieller Nähe und demonstrativer Abwehr,
  • 00:31:07
    auch in jenseits bis hin zur Götzendämmerung erhalten.
  • 00:31:11
    Doch die Ambivalenz kommt nicht erst mit Nietzsches Verhältnis zu Sokrates
  • 00:31:16
    in den Begriff des freien Geistes hinein.
  • 00:31:19
    Sie gehört zu dem Begriff freier Geist,
  • 00:31:23
    spätestens seit der Apostel Paulus ihn als eine Gabe Gottes
  • 00:31:30
    ausgezeichnet hat
  • 00:31:32
    Denn dieses Geschenk kann sich stärker als alle anderen göttlichen Gaben,
  • 00:31:38
    jederzeit auch gegen das Richten,
  • 00:31:40
    der es gegen den richten, der es gemacht hat.
  • 00:31:44
    Es hat bereits die Vertreibung aus dem Paradies zur Folge gehabt und seitdem
  • 00:31:49
    eine nicht abreißende Reihe von Verstößen und Versuchungen nach sich gezogen,
  • 00:31:54
    die spätestens dort, wo Menschen sich als Stellvertreter Gottes aufspielen,
  • 00:31:58
    auch zu gesellschaftlichen Konflikten führen muss.
  • 00:32:02
    So war es beim ersten Terminologisch statierbaren Auftritt des freien Geistes
  • 00:32:10
    Als Spiritus, Libertatis im 13. Jahrhundert.
  • 00:32:16
    Der Begriff war eine Selbstauszeichnung, vornehmlich Dominikanischer Ordensleute,
  • 00:32:23
    die ihre weitgehend individuell ausgestattete Beziehung oder ausgestaltete Beziehung zum Göttlichen
  • 00:32:31
    von den institutionellen Hierarchien der Kirche freizuhalten suchten.
  • 00:32:37
    Sie konnten sich auf das Paulus-Wort im zweiten Brief an die
  • 00:32:40
    Korinther berufen, wo aber der Geist des Herrn ist,
  • 00:32:45
    da ist Freiheit
  • 00:32:48
    Gerieten aber alsbald natürlich, wie sich denken lässt, unter Heresie-Verdacht.
  • 00:32:54
    Er wurde durch den mit der Prüfung beauftragten Albertus Magnus
  • 00:32:58
    1270 formell bestätigt. Man durfte sie daher abwertend,
  • 00:33:03
    Adamiten nennen, was so viel wie wilde, naive,
  • 00:33:08
    noch nicht erzogene,
  • 00:33:09
    vielleicht auch ein bisschen nackte Kinder Gottes bedeutet,
  • 00:33:12
    ihren Geist schamlos und ohne den Geboten im Gehorsam gegenüber
  • 00:33:17
    den Autoritäten der Kirche
  • 00:33:21
    Die vornehmlich zur Bewegung der Bedienen gerechneten Anhänger, der Spiritus,
  • 00:33:26
    liebe Ertates, wurden 1311 auf dem Konzil von Vienne als Ketzer verurteilt.
  • 00:33:34
    Das Verbot wirkte nachhaltig,
  • 00:33:36
    bereits 200 Jahre später hatten sich ihre Spuren im Dunkeln der Geschichte verloren,
  • 00:33:42
    philosophische Aufmerksamkeit finden sie heute eigentlich nur,
  • 00:33:46
    wenn es um die Aufklärung des Prozesses gegen einen der produktivsten religiösen Denker geht,
  • 00:33:52
    den die Philosophie nach Platon, Blotin, Augustinus und Anselm hervorgebracht hat.
  • 00:33:58
    So nimmt man an, dass Meister Eckhardt, von dem
  • 00:34:01
    ich ich hier kurz gesprochen habe, sich des Vorwurfs zu erwehren hatte.
  • 00:34:06
    Er gehöre der Vereinigung der Spiritie, lieber Tati, an.
  • 00:34:11
    Wäre der Prozess öffentlich geführt worden, wozu es ja nicht gekommen ist,
  • 00:34:16
    wäre vielleicht ein ähnlich bewegendes Exempel für die existenzielle Kraft des Glaubens möglich gewesen,
  • 00:34:23
    wie es uns Platon in seinem Bericht über den Prozess gegen Sokrates,
  • 00:34:28
    für die existenzielle Eigenständigkeit eines freien Geistes hinterlassen hat.
  • 00:34:35
    Es gibt keine Hinweise darauf, dass Nietzsche von dieser Vorgeschichte
  • 00:34:40
    seines Zentralbegriffs wusste
  • 00:34:43
    Ihm war offenbar nicht bekannt,
  • 00:34:45
    dass die bedeutendste Schrift aus dem Umfeld der Brüder und Schwestern
  • 00:34:49
    vom Freien Geist des Amoralismus und der Kirchenfeindlichkeit verdächtigt worden waren.
  • 00:34:57
    Es handelt sich um das seit der Wende vom 13. zum
  • 00:35:01
    14. Jahrhundert verbreitete Buch, der Spiegel, der einfachen Seelen.
  • 00:35:07
    Lemirua, de Sablesam, der bereits 1310 wegen Ketzerei verbrannten Mystikerin,
  • 00:35:15
    Margarit Porret. Nach ihrer Ansicht kam die kann die,
  • 00:35:23
    und mit Nietzschützen sprechen, kindlich, naive Seele,
  • 00:35:30
    also der einfachen Seele, gar nichts Böses tun.
  • 00:35:35
    Sie braucht keine Vorschriften zu beachten,
  • 00:35:37
    weil der ihnen ihr wirksame Wille Gottes von sich aus dafür sorgt,
  • 00:35:43
    dass sie die Seele das Richtige tut. Damit steht sie,
  • 00:35:48
    und erneut mit Nietzsche zu sprechen, jenseits,
  • 00:35:52
    der von den Menschen dekretierten Unterscheidungen zwischen Gut und Böse,
  • 00:35:56
    sie ist, um es mit Zerra Tustra zu sagen,
  • 00:35:58
    weder Kamel,
  • 00:36:00
    noch Löwe,
  • 00:36:02
    sondern Kind
  • 00:36:03
    Der Geist der Freiheit genügt, um den Einzelnen aus der
  • 00:36:07
    alltäglichen Gegenwart herauszuheben und ihnen das tun zu lassen,
  • 00:36:13
    was der einfachen Seele zum Aufschwung verhilft.
  • 00:36:18
    Nietzsche, so scheint es, knüpft allein an die moderne Tradition der Rede,
  • 00:36:24
    vom Freigeist an. Sie kam im 18. Jahrhundert,
  • 00:36:28
    als Übersetzung des Free Spirit Tolance und der Esprilibre
  • 00:36:32
    in die populäre deutsche Aufklärungsliteratur und verwandt in Verwandten,
  • 00:36:38
    Ausdrücken,
  • 00:36:40
    auch in anderen europäischen Sprachen
  • 00:36:43
    Aus dem Englischen wirkt es über Hatschusson You und Adam Smith
  • 00:36:47
    verstärkend auf deutsche Autoren, die sich als weltoffen und pragmatisch
  • 00:36:52
    verstanden und sowohl der Religion wie auch den überlieferten Sitten kritisch gegenüberstanden.
  • 00:36:57
    Im allgemeinen Urteil galten die Freigeister als Agnostiker gelegentlich auch als atheistisch und wurden gewiss,
  • 00:37:07
    gewiss zu Unrecht, als Amoralisch, beargwind.
  • 00:37:13
    Es muss daher nicht verwundern, dass der Freigeist,
  • 00:37:18
    der sich ersten der sich, verzeihen Sie,
  • 00:37:22
    in der sich ernster verstehenden Literatur des 18. Jahrhunderts,
  • 00:37:26
    nicht immer positiv gewertet wird.
  • 00:37:30
    1747 verspottet Gellart einen Freigeist als jemanden,
  • 00:37:34
    der sich zeitlebens über die Religion entrüstet, im Sterben,
  • 00:37:39
    jedoch wieder gläubig wird.
  • 00:37:41
    Lessing zeigt in seinem Lustspiel der Freigeist von 1749 einen lächerlichen Prinzipienreiter,
  • 00:37:50
    der sich in seinem Starsinn nicht zu seiner Liebe bekennt und
  • 00:37:54
    am Ende erst mit Hilfe eines zuvor verächtlich gemachten geistlichen
  • 00:37:58
    sein Ziel doch erreicht
  • 00:38:00
    Kant bezeichnet in seinem von Nietzsche offenbar nicht beachteten Aufsatz,
  • 00:38:06
    was heißt sich im Denken, orientieren die Freigeisterei als den Grundsatz,
  • 00:38:12
    gar keine Pflicht mehr anzuerkennen. Grundsatz. Der Wichtigste,
  • 00:38:17
    der Witzigste, das verzeihen Sie, der Wichts,
  • 00:38:19
    witzige Einwand kann es, es war gegen seine Zeitgenossen gerichtet,
  • 00:38:24
    sollte aber bei der Prüfung von Nietzsches im Moralismus nicht vergessen werden.
  • 00:38:28
    Und dies nicht nur,
  • 00:38:30
    weil im Begriff der Orientierung erkannt,
  • 00:38:34
    die auch in unserem Verständnis Leiblichkeit und Vernunft
  • 00:38:38
    zu einer mit der Welt verbundenen Lebensleistung verknüpft sind
  • 00:38:42
    Ganz lakonischer Kommentar zur Freigeist 3 lautet nämlich, ich zitiere.
  • 00:38:48
    Und so zerstört Freiheit im Denken, wenn sie sogar unabhängig
  • 00:38:53
    von Gesetzen der Vernunft verfahren will, endlich sich selbst.
  • 00:38:59
    Nur so lange Nietzsche an den Tugenden festhält,
  • 00:39:03
    das ist sein eigener Begriff,
  • 00:39:05
    von denen er im Zerratustra und ihm jenseits immer wieder spricht,
  • 00:39:09
    kann er sich dieser von Kant diagnostizierten Selbstzerstörung entziehen
  • 00:39:15
    In Nietzsches Jahrhundert galten die 1804 anonym erschienenen und
  • 00:39:20
    vermutlich von Ernst August, Friedrich Klingemann stammenden,
  • 00:39:23
    Nachtwachen des Bonnaventura als eine Art Klassiker, frei geistlicher Gesinnung.
  • 00:39:30
    Sie haben auf sich Seen erregt, man kann aber nicht
  • 00:39:33
    sagen, dass sie in hohem Ansehen standen.
  • 00:39:35
    Deshalb war Nietzsches Entscheidung für den Begriff des freien Geistes
  • 00:39:40
    durchaus den Charakter einer Provokation der Gebildeten,
  • 00:39:45
    auf die er als Leser seiner Schriften
  • 00:39:47
    hoffen musste
  • 00:39:49
    Andererseits haben die von ihm ihn jenseits aufgezählt,
  • 00:39:52
    Synonyme wie Freidenker, lieber Rettpensur und Libery,
  • 00:39:57
    Pensatori bei den fortschrittlich gesonnenen liberalen Geistern seines Zeitalters durchaus einen guten Klang.
  • 00:40:08
    Ich überschlage einiges und setze noch einmal ein beim zweiten Hauptstück des freien Geistes,
  • 00:40:18
    in jenseits von Gut und Böse,
  • 00:40:21
    und will nur darauf hinweisen,
  • 00:40:23
    dass dies eine erklärte Selbstpräsentation,
  • 00:40:28
    eines freien Geistes ist,
  • 00:40:30
    der sich eben selbst so versteht
  • 00:40:33
    Ein Autor, der sich selbst als einen freien Geist begreift,
  • 00:40:38
    versucht, dem Leser in diesem Passus nahe zu bringen,
  • 00:40:43
    was ein freier Geist ist und wie er sich versteht.
  • 00:40:47
    Das geschieht zum einen dadurch, dass er in exemplarischer Form erläutert,
  • 00:40:52
    woran man einen freien Geist erkennt und worin er sich vom Unfreien Geist oder vom Geistlosen,
  • 00:41:00
    von geistlosen Naturen oder wie immer man das nennen will, unterscheidet.
  • 00:41:05
    Die Schwierigkeit, einen Gegentypus zum freien Geist,
  • 00:41:08
    namhaft zu machen, zeigt bereits,
  • 00:41:11
    dass eine treffsichere Beschreibung des freien Geistes keine leichte Aufgabe ist.
  • 00:41:17
    Zum anderen ist es sich der Autor schuldig,
  • 00:41:20
    in seinem Schreiben und Denken selbst als ein Exemplar des freien Geistes erkennbar zu werden.
  • 00:41:26
    Nietzsche führt sich selbst als vorzüglichstes,
  • 00:41:30
    praktisches Beispiel seiner theoretischen Ausführungen vor und es kann kein Zweifel sein,
  • 00:41:37
    dass sie dies zumindest in dieser Schrift auch überzeugend gelingt.
  • 00:41:42
    Es ist somit, und diesen Punkt möchte ich nur betonen,
  • 00:41:46
    eine existenzielle Form der literarischen Produktion,
  • 00:41:50
    die wir als Leser
  • 00:41:52
    vor uns haben
  • 00:41:53
    Der Autor spricht zwar kundig,
  • 00:41:54
    belehren und mit hohem Anspruch über eine Vielzahl bedeutsamer Themen,
  • 00:42:00
    doch die Art, in der er dies tut,
  • 00:42:02
    ernsthaft und witzig, verächtlich und bewundernd ironisch und feierlich hochgebildet und geistvoll,
  • 00:42:10
    manchmal auch mit demagogischer Attitüde, doch in alledem mit größter,
  • 00:42:14
    persönlicher Anteilnahme, macht klar,
  • 00:42:18
    dass er sich nicht nur mit seinen Ansichten,
  • 00:42:22
    sondern eben auch mit seinem Selbstverständnis exponiert.
  • 00:42:26
    Darin ist Nietzsche ein Protagonist der Existenzphilosophie,
  • 00:42:32
    die ein halbes Jahrhundert nach ihm folgt
  • 00:42:36
    Nietzsche spricht nicht erst in Ecci Homo über sich selbst.
  • 00:42:41
    Auch in seinen Vorreden gibt er sich mit seinen persönlichen Erfahrungen und Erwartungen zu erkennen.
  • 00:42:48
    Im zweiten Hauptstück über den freien Geist führt er sich in
  • 00:42:51
    seiner von ihm selbst als wesentlich angesehenen Aufgabe weitestgehend sogar
  • 00:42:57
    selbst ohne Maskenspiel, was selten ist vor.
  • 00:43:00
    Der freie Geist mag zwar die Masken lieben für Verführungen offen sein,
  • 00:43:07
    als das nicht festgestellte Tier,
  • 00:43:09
    den Abenteuermut benötigen und die Verwandlung ja die Umkehrung anstreben.
  • 00:43:14
    Er sucht die Einsamkeit nicht etwa, weil er seine Schwächen
  • 00:43:20
    verbergen will, sondern um seine Stärken zu erproben.
  • 00:43:24
    Ja, so groß sein Verlangen sein mag,
  • 00:43:27
    sich in der Selbstüberwindung zu verwandeln, der Freie Geist muss gleichwohl,
  • 00:43:33
    Zitat, wissen, sich zu bewahren.
  • 00:43:37
    Darin sind Nietzsche, nochmal Zitat, die stärkste Probe der Unabhängigkeit,
  • 00:43:44
    also gibt es auch für ihn eine begriffliche Klammer,
  • 00:43:47
    die seine ganze Existenz umfasst
  • 00:43:51
    Dass hier Unstimmigkeiten, wenn nicht gar Widersprüche lauern, kann nicht verborgen bleiben.
  • 00:43:56
    Aber offenkundig ist, dass Nietzsche sich darstellen in der Darstellung
  • 00:44:03
    selbst erkannt und als Ausnahme anerkannt sein möchte.
  • 00:44:08
    Und somit, wie er immer wieder sagt, nicht verwechselt
  • 00:44:13
    werden möchte. So liegt in allem Pathos der Verwandlung,
  • 00:44:18
    auch eine gewisse Kontinuität. Das leuchtet allein schon deshalb ein,
  • 00:44:22
    weil anders der freie Geist gar nicht frei und wohl auch
  • 00:44:26
    nicht immer geistig bleiben könnte
  • 00:44:29
    Man könnte von Selbstüberwindung gar nicht sprechen, wenn ihnen ihr tatsächlich alles anders würde.
  • 00:44:37
    Deshalb muss sowohl im Geist wie auch in seiner zum festen
  • 00:44:40
    Merkmal gewordenen Liberalität ein Moment sich steigernder Beharrlichkeit wirksam sein.
  • 00:44:47
    Wie anders könnte derart affirmativ von unseren Tugenden,
  • 00:44:52
    unserer Redlichkeit, von der umfänglichsten Verantwortlichkeit,
  • 00:44:57
    von der Ehrerbietung gegenüber allem strengen und harten,
  • 00:45:01
    von der Vornehmenheit oder gar davon die Rede sein,
  • 00:45:06
    dass die vornehme Seele ehrfurcht vor sich selber habe
  • 00:45:14
    Wie wichtig dieses von Nietzsche in der Regel überspielte Kontinuitätsmoment für
  • 00:45:19
    sein Denken ist, tritt er vor,
  • 00:45:21
    wenn er die Umkehrung zur vorrangigen methodologischen Aufgabe des freien Geistes erklärt.
  • 00:45:28
    Wir umgekehrten, so ruft er der menschlichen Gattung zu,
  • 00:45:33
    haben dafür zu sorgen,
  • 00:45:34
    die Gefährlichkeit der eigenen Lage ins Ungeheure wachsen zu lassen,
  • 00:45:40
    um mit der Erfindungs- und Verstellungskraft das Spezifikum des Geistes
  • 00:45:46
    zu steigern
  • 00:45:48
    Die Umkehrung, die sich auf alles Verhalten eines freien Geistes der Strecke
  • 00:45:53
    und somit auch seine innere Einstellung nicht unverändert lassen kann,
  • 00:45:57
    muss dennoch etwas unterstellen, was im Wandel dasselbe bleibt.
  • 00:46:01
    Etwas, das sich ebenso treu sein kann,
  • 00:46:05
    wie Zerra Tuster es verlangt, wenn er dazu auffordert,
  • 00:46:09
    der Erde treu zu bleiben.
  • 00:46:13
    Dazu ist es gewiss nicht nötig, eine metaphysisch gefasste Substanz
  • 00:46:17
    zu unterstellen. Die Philosophie hat sich davon seit Kans Kritik
  • 00:46:21
    der Paralogismen der Vernunft
  • 00:46:22
    längst verabschiedet
  • 00:46:24
    Aber ob Nietzsche, auf die Annahme eines zumindest Personalverstandenen,
  • 00:46:29
    zumindest Personalverstandenen, Identität des Individuums verzichten kann, muss bezweifelt werden.
  • 00:46:35
    Schließlich erwartet er, dass der freie Geist, ich zitiere,
  • 00:46:40
    unter langem Druck und Zwang sich ins Feine und Verwegene entwickelt,
  • 00:46:46
    weil sein Lebenswille bis zum unbedingten Machtwillen gesteigert werden müsse.
  • 00:46:54
    Was hier den allgemeinen Druck und Zwang erzeugt,
  • 00:46:58
    was überhaupt verlangt,
  • 00:46:59
    dass etwas entfaltet und gesteigert werden muss,
  • 00:47:02
    könnten wir mit Blick auf eine andere Stelle als das Plurale
  • 00:47:07
    gegeneinander der Willen zur Macht bezeichnen
  • 00:47:12
    Aber beim freien Geist kann man die Vielfalt dagegen und miteinander wirkenden Mächte,
  • 00:47:19
    nur bis zur personalen Einheit des Individuums, herunterdividieren.
  • 00:47:24
    Hier bleibt ein Selbst, das seinesgleichen hat, von dem
  • 00:47:29
    es sich durch den Gebrauch seines Geistes und seiner Freiheit unterscheidet.
  • 00:47:36
    Es gibt also, und das ist aus meiner Sicht wichtige Schlussfolgerung,
  • 00:47:40
    es gibt also auch nach Nietzsche eine erkennbare Lebensform der
  • 00:47:45
    individuellen Existenz
  • 00:47:48
    Sie ist es, der alles, was immer empfunden,
  • 00:47:51
    wahrgenommen gefühlt und erkannt werden kann, etwas bedeutet.
  • 00:47:56
    Das geht bis hin zur Welt, die uns etwas angeht.
  • 00:48:02
    So ist diese Formel, Formel bei Nietzsche immer wieder zu finden.
  • 00:48:04
    Bis zur Welt, die uns etwas angeht.
  • 00:48:08
    Und die Existenz des Individuums des Ausgangs- und Endpunkt dieser Bedeutung.
  • 00:48:13
    Nietzsche wäre von einem subjektivistischen Skeptiker oder von einem entschiedenen Solipsisten vom Schlagestirners nicht zu unterscheiden,
  • 00:48:24
    wenn er an den alle Bedeutungen schürzenden Knoten des Ichs Nur,
  • 00:48:30
    dass allen äußeren Eindrücken und jedem inneren Impuls ausgelieferte Willkür und Stimmung selbst gesetzt hätte.
  • 00:48:38
    Es bleibt etwas Wesentliches. Nietzsche rückt vielmehr ein,
  • 00:48:43
    sich in zahllosen Aktivitäten, Selbstbestimmendes, sich auf selbstgesetzte Zwecke ausrichtendes Selbst,
  • 00:48:51
    als eine zwar vom Leib und von äußeren Impulsen,
  • 00:48:53
    abhängige, darauf zugleich auch angewiesene Steuerungsinstanz,
  • 00:48:59
    in den Ausgangspunkt und lässt keine Gelegenheit aus,
  • 00:49:04
    auf deren Plastizität
  • 00:49:05
    zu verweisen
  • 00:49:07
    Es kann aber auch kein Zweifel sein,
  • 00:49:09
    dass Nietzsche diesem existenziellen Zentrum eigene Impulse und Initiativen zutraut,
  • 00:49:17
    denen er seine Richtung und ein Ziel vorgeben möchte.
  • 00:49:22
    Genau besehen ist es dies unablässig, über sich hinausgehende Zentrum,
  • 00:49:29
    dem Nietzsche den Namen des freien Geistes gibt.
  • 00:49:33
    Darin ist er nicht nur um einiges pointierter als jene,
  • 00:49:38
    die nur vom Ich oder vom Selbst sprechen.
  • 00:49:40
    Er ist auch stärker festgelegt als jene Philosophen, die,
  • 00:49:45
    wie etwa platon oder Augustinus, Montennio oder Leiblitz,
  • 00:49:49
    Voltaire oder Jugendkante oder Hegel, dem selbst nur Geistigkeit und Freiheit zusprechen,
  • 00:49:55
    ohne es auf ein Programm grenzenloser Selbstbestimmung zu verpflichten.
  • 00:50:03
    Oder grenzenloser Selbstüberwindung zu verpflichten. Doch wie dem auch sei,
  • 00:50:07
    in seinem Selbstverständnis als freier Geist,
  • 00:50:10
    bleibt Dietsche der philosophischen Tradition näher,
  • 00:50:15
    als es philosophischen Laien gegenüber zu erkennen ist oder von
  • 00:50:20
    diesen Laien selbst bei der Lektüre Nietzsches.
  • 00:50:25
    Nachvollzogen werden kann
  • 00:50:27
    Ich komme zum Schluss. Es ist meine Damen und Herren,
  • 00:50:33
    offensichtlich, das Nietzsche in seinem Spätwerk,
  • 00:50:37
    große und weitreichende Perspektiven für die Zukunft des Menschen zu entwickeln sucht.
  • 00:50:44
    Viele sind in jenseits von Gut und Böse angesprochen,
  • 00:50:48
    wenn er den freien Geist mit seinen Stärken und Tugenden beschreibt.
  • 00:50:54
    Aber vieles entsetzt und befremdet uns,
  • 00:50:58
    wenn er allgemein etwa gegen die mittelmäßigkeit polymisiert,
  • 00:51:02
    als wüssten wir nicht selbst,
  • 00:51:04
    dass wir gerade in unseren höchsten Ansprüchen immer auch mittelmäßig
  • 00:51:08
    sein müssen
  • 00:51:09
    Wenn er die Humanität karikiert und das Menschenrecht perhorresziert, verhöhnt.
  • 00:51:18
    Auch seine Versuche den unbedingten Machtwellen zur einzigen Triebkraft der Geschichte
  • 00:51:22
    zu machen und dabei erneut bereit zu sein scheiden,
  • 00:51:25
    Gewaltsamkeit und Sklaverei, wie in seinen frühesten Schriften,
  • 00:51:30
    in Kauf zu nehmen, haben nichts,
  • 00:51:33
    was die von ihm avisierte Zukunft attraktiv erscheinen lassen könnte.
  • 00:51:38
    Im Gegenteil,
  • 00:51:40
    hier muss Nietzsche mit der gleichen Entschiedenheit widersprochen werden,
  • 00:51:44
    mit der er glaubte,
  • 00:51:46
    seiner Zeit und seiner Zunft
  • 00:51:48
    entgegentreten zu müssen
  • 00:51:51
    Diesen Widerspruch, gegen Nietzsche und gegen Partien seines Werkes,
  • 00:51:57
    darf man nicht den Gegnern Nietzsches überlassen.
  • 00:52:01
    Gerade von seinen Bewunderern ist der Einspruch zu fordern,
  • 00:52:05
    wann immer sie auf einen Gegensatz zwischen Nietzsches Thesen und ihren eigenen Überzeugungen aufmerksam werden.
  • 00:52:13
    Das sind sie nicht zuletzt dem existenziellen Ernst dieses Denkers schuldig.
  • 00:52:19
    Der freie Geist beginnt seinen Lauf als Kritiker.
  • 00:52:23
    Man wird ihm nur gerecht, wenn man ihm selbst
  • 00:52:26
    mit freimütiger Kritik begegnet
  • 00:52:29
    Allein hier liegt ein Unterschied zu heiliger, von dem wir
  • 00:52:35
    nur abfällige Urteile über andere kennen. Es würde den Rahmen dieser Vorlesung sprengen,
  • 00:52:45
    auch nur die im Interesse Nietzsches, liegende Kritik zu äußern,
  • 00:52:50
    von der, die man aus der Sicht des heutigen Wissens über den Menschen und seine Welt äußern kann, dann zu schweigen.
  • 00:52:58
    Aber in Kenntnis vieler naheliegender Einwände sei abschließend betont,
  • 00:53:03
    dass Nietzsche seine Philosophie der Zukunft Auch insofern aus der Sicht des freien Geistes entwirft,
  • 00:53:15
    als er sich die Freiheit nimmt, die Menschheit aus der Perspektive,
  • 00:53:20
    jener von ihm sogenannten, höchsten Exemplare zu denken.
  • 00:53:25
    In der richtigen Überzeugung, dass die menschliche Kultur von den Leistungen lebt,
  • 00:53:30
    in denen sie sich selbst überbietet, fragt Nische danach,
  • 00:53:34
    wie die Steigerung der besten Kräfte möglich ist.
  • 00:53:38
    Und eben dies ist die Perspektive einer Aufklärung,
  • 00:53:42
    in welche der Mensch mit seinen besten Kräften über den Einmal erreichten Stand seiner Entwicklung hinauszukommen sucht,
  • 00:53:50
    nicht, um sich von sich selbst zu entfernen,
  • 00:53:54
    sondern um sich selbst näher zu sein.
  • 00:53:57
    Aber auch nicht, um damit primär andere abzuwerten oder gar abzuwirtschaften,
  • 00:54:04
    sondern um die Aufgabe zu charakterisieren, um die es ihm geht.
  • 00:54:10
    Wenn Nietzsche sich dabei aber zu nahe kommt,
  • 00:54:14
    sodass er den Humanen Abstand verliert und vergisst,
  • 00:54:18
    wie sehr alles reden über das Ich aus der Perspektive,
  • 00:54:23
    das ja immer auch Prüfenden mich und insofern auch aus der kritisch zweifelnden Rollen des anderen seiner Selbsterfolg
  • 00:54:32
    Dann beruft er sich zwar noch auf die Ehrfurcht vor sich,
  • 00:54:36
    ich habe das gerade zitiert,
  • 00:54:38
    auf die Liebe zu sich und auf die unbedingte Freiheit gegen sich,
  • 00:54:42
    aber er schiebt das beiseite, was ihm alles dies,
  • 00:54:48
    überhaupt erst ermöglicht.
  • 00:54:50
    Sein Denken, seine Sprache, seine Bildung,
  • 00:54:55
    seine Kultur, seine mögliche Leserschaft nicht zu vergessen,
  • 00:55:01
    auch seine Hörerschaft von Vorträgen über ihn und mit ihnen
  • 00:55:04
    die Bedingung,
  • 00:55:05
    aus der alles erlex,
  • 00:55:08
    nämlich die Menschheit
  • 00:55:11
    Mindestens auf die Menschheit trifft Nietzsches Einsicht zu,
  • 00:55:16
    dass es nichts gibt, außer diesem Ganzen.
  • 00:55:21
    Es ist weder empirisch noch logisch möglich,
  • 00:55:23
    den Begriff eines einzelnen Menschen zu fassen,
  • 00:55:27
    wenn der Reale und der Kategoriale Bezug auf die Menschheit fehlen.
  • 00:55:33
    Zwar haben die Selbsterhaltungstrihaben der Selbsterhaltungstrieb sowie die Raub- und Mordlust der Menschen
  • 00:55:39
    unablässig dazu geführt, ihresgleichen in Gruppen oder als Individuen zu vernichten.
  • 00:55:45
    Dazu haben die unterschiedlichsten Argumente herhalten müssen,
  • 00:55:49
    die den Kampfplatz des Lebens auf immer neue Weise
  • 00:55:52
    in Freunde und Feinde aufteilt
  • 00:55:56
    Aber wenn jemand wie Nietzsche es noch an der zitierten Stelle tut,
  • 00:56:01
    daran geht die höchsten Ziele des Verstehens. Ja,
  • 00:56:06
    dass sich mit Notwendigkeit,
  • 00:56:08
    Verstehens der Tugenden und der Rechtschaffenheit, des Ernstes,
  • 00:56:14
    der Ehrfurcht, der Liebe und der unbedingten Freiheit
  • 00:56:18
    gegenüber sich selbst beschwört und zugleich erklärt ihm Liege nur an denen,
  • 00:56:25
    die das richtig verstehen,
  • 00:56:29
    nämlich meine Leser,
  • 00:56:32
    meine rechten Leser
  • 00:56:34
    Meine vorherbestimmten Leser, alles noch, Zitate,
  • 00:56:39
    um dann die Frage hinzuzufügen, was liegt am Rest?
  • 00:56:46
    Unter dem er, wie der nächste Satz zeigt,
  • 00:56:49
    nichts anderes versteht, als die Menschheit.
  • 00:56:53
    Der Rest ist bloß, die Menschheit.
  • 00:56:59
    Dann ist die Grenze des Sagbaren, der überhaupt,
  • 00:57:03
    das überhaupt verständlichen und damit auch des Begründens,
  • 00:57:07
    des Denkens und des Philosophierens
  • 00:57:10
    definitiv überschritten
  • 00:57:14
    Dann ist Nietzsche an dem Punkt angelangt, wo ihm niemand
  • 00:57:19
    mehr folgen kann. Apriol könnte ich jetzt kantianisch sagen.
  • 00:57:22
    Apriori, niemand mehr folgen kann. Hier kann man die Frage,
  • 00:57:27
    wie weiter mit, nur noch einmal. Und dann,
  • 00:57:32
    oder, man kann sie noch nicht einmal sinnvoll stellen.
  • 00:57:37
    Wie weiter mit einem Liedsche, der die Menschheit zum Rest erklärt,
  • 00:57:42
    auf den es gar nicht ankommt. Deshalb kann man ihm nur so lange eine philosophische Zukunft zugestehen,
  • 00:57:50
    als er den freien Geist, wieso grütt es ein Cicero,
  • 00:57:55
    wie Meister Eckhardt und Montanye, wie Spinosa, Voltaire und Kant,
  • 00:57:59
    als das eigentlich Belebende und begeisternde Moment der Menschheit begreifen kann und wo das nicht mehr passiert,
  • 00:58:10
    wo das aufgekündigt wird, da kann man nur hoffen,
  • 00:58:14
    dass es auch mit Nietzsche nicht weitergeht.
  • 00:58:17
    Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit