'Das Interessante liegt im Zwischen': Phantasmagorien der Migrationsliteratur - Julia Boog, Kathrin Emeis - Universität Hamburg
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'Das Interessante liegt im Zwischen': Phantasmagorien der Migrationsliteratur
Innerhalb des Schwerpunktes der Interkulturellen Literaturwissenschaft bietet es sich vor dem Hintergrund, dass in der Migrationsliteratur verstärkt phantastische Elemente zu finden sind, an, diesem Phänomen innerhalb einer Vorlesungsreihe dezidiert nachzugehen. Da Migrationsautoren seit den 1980er Jahren einen besonders produktiven Beitrag zur deutschsprachigen Literatur ge-leistet haben, soll sich die Vorlesung der Frage widmen, inwiefern sich der Begriff des Phantastischen auch bei der Analyse ihrer Werke als nützlich erweist: Bedarf die Darstellung eines ‚clash of cultures‘, welche die Instabilität aller kulturellen Identitäten evident macht, der Vermittlung einer phantastischen Schreibweise?
Dabei ist es vor allem Renate Lachmanns Text, dessen Akzent auf dem Konstruktionscharakter kultureller Zuschreibungen liegt, der sich für eine Analyse der Migrationsliteratur anbietet: In ihrem historischen Abriss zur Phantastik konstatiert Lachmann, dass diese „etwas in die Kultur zurückholt und manifest macht, was den Ausgrenzungen zum Opfer gefallen ist“ und damit an sich schon eine prinzipielle „Transformation in das Fremdkulturelle“ vollzieht. Ebenso wie in der Interkulturellen Literaturwissenschaft steht demnach die Kategorie des ‚Anderen‘ im Zentrum des Interesses. In einem ersten Abschnitt soll daher theoretisch in das Werk Lachmanns eingeführt werden, um einen Motivkatalog für die nachfolgende Analyse zweier einschlägiger Interkultureller Primärwerke zu entwerfen. Besonders bei Emine Sevgi Özdamar und Yoko Tawada berichten die Erzählerinnen in einem traumhaften, halluzinierenden Zustand vom Überall und Nirgendwo, dem ‚Zwischen’ der Kulturen, das die klassischen Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität zu verzerren scheint.
Darüber hinaus soll es auch um die Karnevalstheorie Michail Bachtins gehen, der hinsichtlich der Definition eines ‚grotesken Realismus’ auch mit Begrifflichkeiten um das Phantasmatische ope-riert und nicht zuletzt deshalb erwähnenswert ist, da Lachmann selbst ihre Theorien auf seinen Ausführungen aufgebaut hat.
Der Fokus liegt hierbei auf einer ‚Zerstückelung der Mutterzunge’, der Ablösung von der heimat-lichen Sprache, die in der Migrationsliteratur Anlass semiotischer Exzesse ist und damit Lachmanns Bestimmung der „Gegen- oder Kryptogrammatik des Phantastischen“ zu entsprechen scheint. Auch Bachtin nimmt eine von ihm konstatierte Vielsprachigkeit in der Renaissance als Anlass für die Beschreibung der Karnevalisierung der Literatur und damit auch einer Verschiebung in den Bereich des Phantastischen, denn hier „vollzog sich eine gegenseitige Orientierung, Einwirkung und Erhellung der Sprachen. [...] Jede der beiden Sprachen wurde sich ihrer Mög-lichkeiten und Schranken im Lichte der anderen Sprache bewusst. [...] Zwei Sprachen sind nämlich zugleich zwei Weltanschauungen.“
Anhand zweier Romane von Özdamar und Tawada soll der Einsatz von surrealistischen Bildverfahren und der Effekt von „Überseezungen“ nachvollzogen und so die Kernfrage erläutert werden, ob gerade die Phantastik in der Migrationsliteratur dasje-nige integrieren kann, „was eine gegebene Kultur [eigentlich] als Gegenkultur oder [sogar] Unkultur betrachtet“ .
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Beiträge zur Fantastikforschung im Spiegel der Fachdisziplinen
Es ist unübersehbar: Fantastik ist zum Dreh- und Angelpunkt der Populärkultur geworden. Die Erfolge der fantastischen Genres sind omnipräsent: Avatar, Harry Potter, Alice im Wunderland und viele andere. Tolkiens Herr der Ringe und Lewis‘ Chroniken von Narnia zählen seit langem als Buch-Bestseller, die allerdings jüngst vom Erfolg der Harry-Potter- und der Twilight-Saga überboten wurden. Umso verwunderlicher scheint es, dass gerade dieser Bereich noch immer um akademische Akzeptanz ringt.
Dank der Gründung der Gesellschaft für Fantastikforschung e. V. letztes Jahr in Hamburg existiert nun ein Basislager, von dem aus Forscher ihre Expeditionen in das weite Feld starten können.
Auf genau diesem Grundstein möchte die Vortragsreihe aufbauen, das Feld erschließen und es in seiner wissenschaftlichen Repräsentation stärken.
Warum sind Twilights Edward und Bella so unwiderstehlich? Wie prägt Fantasy unsere Kinder? Welche Rolle spielen die Medien? Und wie wirkt sich dies auf unsere Alltagswahrnehmung aus? Formt fantastisches Denken vielleicht sogar das Bild unserer Städte? Welche Perspektive haben Theologie und Soziologie auf die Phänomene der Fantastik?
Diesen Fragen geht die Reihe nach, um die Fantastik aus den verschiedensten Blickwinkeln der unterschiedlichen Fachdisziplinen zu beleuchten und so einen Teil der „Fremden Welten“ in Zukunft auf der Karte der Wissenschaft zu verzeichnen.