Stigmaresistenz - Gwen Schulz, Prof. Dr. Thomas Bock, Dr. Candelaria Mahlke - University of Hamburg
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Stigmaresistenz
Das nach wie vor vorhandene Stigma psychischer Erkrankung wird nicht selten in einer Selbststigmatisierung vorweggenommen. Die erlebte Tabuisierung führt zu einer fremdbestimmten Geheimhaltung. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Verständnis psychischer Störungen in Gesellschaft und Psychiatrie soll zu einer selbstverantworteten Entscheidung führen. Dieser Prozess fördert Stigmaresistenz. Berichtet wird von bisherigen Erfahrungen, theoretischen Voraussetzungen und praktischen Zielen eines neuen Projekts von „Irre menschlich Hamburg e.V.“ für junge Menschen, die selbst Krisenerfahrung machen. Diskutiert wird auch über die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen von Toleranz und Solidarität und über die Chancen, die darin stecken, dass äußere Katastrophen/Sorgen (Umwelt, Frieden, Corona) uns alle betreffen.
Digitaler Dialog von Prof. Dr. Thomas Bock mit Dr. Candelaria Mahlke und Gwen Schulz, alle Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Soziale Not und seelische Gesundheit - Zur Anthropologie von Gesundheit und Krankheit in der Psychiatrie
Armut und Einsamkeit bestimmen mit, wie häufig und schwer Menschen psychisch erkranken, ob und wie sie genesen. Urbanes Leben kann seelisch belasten. Muss Stadtplanung von psychiatrie-erfahrenen Menschen lernen? Brauchen wir ein Ministerium für Einsamkeit wie in England? Kann materielle Grundsicherung wirksame psychische Prävention bedeuten? Kann Peer-Support auch Menschen mit sozialen Problemen helfen? Brauchen wir ein recovery- bzw. empowerment-College?
Ziel der Vorlesungsreihe Anthropologische Psychiatrie ist seit ihrem Start im Jahr 2000, ein menschliches Bild von psychischen Erkrankungen zu vermitteln, sie nicht auf die Abweichung von Normen oder die Folge entgleister Transmitter zu reduzieren. Aus dieser Perspektive bekommen die notwendigen Hilfen auch eine politische Dimension: Hilfreiche Psychiatrie braucht eine gute Sozial-, Wohnungsbau- und Kommunalpolitik. Mit Vorteilen für alle: Was psychisch sensiblen Menschen gut tut, bedeutet Psychohygiene für alle. Prävention erfordert Politik.
Diese Veranstaltungsreihe ist eine Kooperation der Universität Hamburg mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Irre menschlich Hamburg e.V. und psychenet.
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Literaturangaben:
1. Der angesprochene trialogische und mehrfach ausgezeichnete Verein „Irre menschlich Hamburg e.V.“ ist vor über 20 Jahren aus dem Hamburger Psychose-Seminar hervorgegangen: Erfahrene, Angehörige und Profis organisieren gemeinsam Begegnungsprojekte in (Hoch-)Schulen, Betrieben, kirchlichen und kulturellen Zusammenhängen sowie trialogische Fortbildungen für viele verschiedene Berufsgruppen (z.B. Lehrer*innen, Polizei, Pastor*innen, Jugendhilfe, Gesundheitsberufe, Medien …). Kontakt: info@irremenschlich.de
2. Das geplante neue Projekt „zu sich stehen“ richtet sich an Jugendliche / junge Erwachsene, die schon Erfahrung mit der Psychiatrie haben (mit eigener Krise oder als Angehörige), wird als Prävention von der Rentenversicherung Nord gefördert und nutzt Vorerfahrungen von einem Forschungsprojekt der Universität Ulm:
Rüsch N, Oexle N, Reichhardt L, Ventling S (2019) In Würde zu sich stehen - Konzept und Wirksamkeit eines peer-geleiteten Programms zu Offenlegung und Stigmabewältigung [Honest, Open, Proud: Concept and efficacy of a peer-led program to provide support with disclosure decisions and coping with stigma]. Psychiatr Prax. 46:97–102.
3. Dass ein kulturelles Verständnis und diesbezügliche Kompetenzen in der Forschung entwickelt werden müssen, ist im Bereich den Genderwissenschaften selbstverständlich. Wissenschaftler*innen müssen ihre eigenen Vorurteile und Einschränkungen bei der Arbeit mit kulturell unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen hinterfragen und sich bewusst machen. In einer Pilotstudie wurde dies untersucht, um weiterreichende Empfehlungen zu entwickeln:
Portz K, Burns A. (2020) Utilizing Mixed Methodology to Increase Cultural Competency in Research with Transgender and Gender Nonconforming Individuals. Transgender Health. 5:(1): 69-73.http://doi.org/10.1089/trgh.2019.0057
Auch im Bereich der Betroffenen-kontrollierten, oder kooperativen Forschung zu Themen psychischer Gesundheit gibt es bereits seit langem, besonders in englischsprachigen Ländern, Initiativen und Projekte. In Hamburg war das Projekt EmPeeRie (Empore Peers to research) maßgeblich, dessen nutzerorientierte Wissenschaftsberatung (Now) von Forschungsprojekten der Uni Hamburg zu nutzen ist (Kontakt: bock@uke.de, c.mahlke@uke.de). In Deutschland ist diese Entwicklung bislang mit wenig institutioneller Unterstützung geschehen. Solche Initiativen, auch von Institutionen und dem psychiatrischen Versorgungssystem, sollten ermöglicht und unterstützt werden.
Videoproduktion: Hamburg Open Science/Medienkompetenzzentrum