Räume des Phantastischen - Henning Kasbohm - University of Hamburg
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Räume des Phantastischen
Eine grundsätzliche Frage der Literaturwissenschaft muss die nach ihrer Operationalisierbarkeit sein. Wer in einem Themenfeld wie der Phantastik forscht, sollte mithin einen Begriff davon haben, was eigentlich „phantastisch“ zu nennen sei und wie dieser Begriff wissenschaftlich nutzbar sei – und das muss immer auch heißen, wie die Phantastikforschung zur erkenntnisbringenden Analyse der literarischen Primärtexte beitragen kann. Nun ist der Forschungszweig weit von einer einheitlichen Terminologie oder einem mehr oder minder einheitlichen Phantastikbegriff entfernt. Gleichwohl bemühen die wissenschaftlichen Texte zum Thema häufig ein ähnliches Textcorpus – es scheint den unterschiedlichen definitorischen Ansätzen durchaus eine gemeinsame Grundlage zu eignen. Mein Ansinnen ist, einen im Zusammenhang meiner im Entstehen begriffenen Dissertation ausgearbeiteten Phantastikbegriff vorzustellen, der, trotz einer der Phantastik inhärenten Notwendigkeit der wissenschaftlichen Chimäre in der Begriffsbestimmung, die theoretische Selbstreferentialität vermeidet und sich von einer etymologischen Basis ausgehend dem Forschungsgegenstand nähert. „Forschungsgegenstand“ bezeichnet in diesem Zusammenhang sowohl die Texte, auf welche sich die Phantastikforschung scheinbar intuitiv geeinigt hat, als auch die Begriffsbestimmung als solche. Die grundlegende Frage der Phantastikforschung muss lauten: Was ist „phantastisch?“ und ihre Antwort muss ein möglichst universell operationalisierbarer Begriff des Phantastischen sein. Ich werde daher klar benennbare Merkmale der Textstruktur bestimmen, durch die sich die Hervorbringung eines mit Fug und Recht als „phantastisch“ zu bezeichnenden Zustandes erklären lässt. Betont sei in diesem Zusammenhang das Prozesshafte des Phantastischen in der Literatur; ein Prozess, der, wie ich zeigen werde, maßgeblich mit dem ontologischen Zweifel zusammenhängt: Literatur wird phantastisch, wenn ihre Welt aus den Fugen geraten sein könnte. Sie oszilliert zwischen verschiedenen Räumen: sprachlichen Räumen, semantischen Räumen, „anderen Orten“ und unterschiedlichen Ordnungen.
Die fraglichen Raummodelle sind die auf Lotman zurückgehende Raumsemantik und die Foucault'schen Heterotopien. Das Modell Lotmans ermöglicht, auf der Grundlage der narrativen Strukrur eines Textes dessen Phantastizität zu erklären und das Verhältnis der Charaktere der Geschichte zu einer erschütterten Weltordnung zu beschreiben und zu analysieren. Die beiden unterschiedlichen Konzeptionen der Heterotopien, die beide auf Foucault zurückzuführen sind, beschreiben auf sprachlicher wie räumlicher Ebene Orte, die der Ordnung zugleich ent- und widersprechen – sie festigen und subvertieren. Mein Ziel ist, zu zeigen, wie die raumspezifischen Theorien mit einem an der Struktur der erzählten Welt orientierten Begriff des Phantastischen korrelieren.
Da Phantastik häufig als eine der spezifischen kulturellen Äußerungen der literarischen Moderne beschrieben wird, möchte ich mich neben dem metawissenschaftlichen, „phantastologischen“ Aspekt besonders mit der Moderne verwandten Themen widmen. Hierzu gehören die Anthropophagie, Doppelgänger und Zombies.
Ich möchte zeigen, inwieweit unterschiedlichen Kontexten entstammende, doch in vielerlei Hinsicht ähnlich geartete modernistische Konzepte nach denselben Mustern operieren und wie sich in der verdoppelnden wie einverleibenden „anthropophagen“ Ästhetik speziell mit Bezug auf die modernetypischen Themen der sexuellen Deviation und des „Wahnsinns“ Erkenntnis im Bezug auf das literarische Werk gewinnen lässt. Es soll hier jedoch weniger um die komparatistische Konstruktion der Chimäre einer allgemeinen Ästhetik der Moderne gehen, sondern vielmehr um die Klärung spezifischer Mechanismen der Darstellung des aus der tradierten Ordnung Herausfallenden. Während Doppelgänger sowohl ein beliebtes modernes Motiv sind und danebst ein Dauerbrenner der Literaturwissenschaft, sind Zombies eher eine Mode der zweiten Hälfte des 20. Jh. - allerdings sind Zombiekonzepte aus Philosophie und Bewusstseinsforschung durchaus brauchbare Mittel der Betrachtung der modernen Subjektkrise.
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Beiträge zur Fantastikforschung im Spiegel der Fachdisziplinen
Es ist unübersehbar: Fantastik ist zum Dreh- und Angelpunkt der Populärkultur geworden. Die Erfolge der fantastischen Genres sind omnipräsent: Avatar, Harry Potter, Alice im Wunderland und viele andere. Tolkiens Herr der Ringe und Lewis‘ Chroniken von Narnia zählen seit langem als Buch-Bestseller, die allerdings jüngst vom Erfolg der Harry-Potter- und der Twilight-Saga überboten wurden. Umso verwunderlicher scheint es, dass gerade dieser Bereich noch immer um akademische Akzeptanz ringt.
Dank der Gründung der Gesellschaft für Fantastikforschung e. V. letztes Jahr in Hamburg existiert nun ein Basislager, von dem aus Forscher ihre Expeditionen in das weite Feld starten können.
Auf genau diesem Grundstein möchte die Vortragsreihe aufbauen, das Feld erschließen und es in seiner wissenschaftlichen Repräsentation stärken.
Warum sind Twilights Edward und Bella so unwiderstehlich? Wie prägt Fantasy unsere Kinder? Welche Rolle spielen die Medien? Und wie wirkt sich dies auf unsere Alltagswahrnehmung aus? Formt fantastisches Denken vielleicht sogar das Bild unserer Städte? Welche Perspektive haben Theologie und Soziologie auf die Phänomene der Fantastik?
Diesen Fragen geht die Reihe nach, um die Fantastik aus den verschiedensten Blickwinkeln der unterschiedlichen Fachdisziplinen zu beleuchten und so einen Teil der „Fremden Welten“ in Zukunft auf der Karte der Wissenschaft zu verzeichnen.