Das „russlanddeutsche Opfer-Narrativ“ - Tatjana Schmalz - University of Hamburg
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Das „russlanddeutsche Opfer-Narrativ“
In Deutschland leben und arbeiten Menschen verschiedenster Nationalitäten, die meisten von ihnen stammen aus „Osteuropa“. Was genau meint man mit diesem nicht eindeutig definierten Begriff „Osteuropa“? Wo beginnt und wo endet er geographisch? Wie repräsentiert er sich kulturell in einem gesamteuropäischen Kontext? Was charakterisiert ihn auf historischer Ebene? In einem modernen, globalorientierten Europa, in dem staatliche Grenzen immer seltener werden, ist es keine Seltenheit, dass ein Kroate in der Ukraine arbeitet und am Wochenende nach Polen zu seiner Familie fährt. Auch Künstler, Literaten, Musiker, Filmemacher und andere Kulturschaffende wollen sich nicht auf ihr Vaterland festbinden lassen. Das soll nicht heißen, dass sie ihre Herkunft verneinen, sondern im Gegenteil erschaffen sie durch ihre Arbeit eine neue hybride Identität, die sich sprachlich, kulturell und gesellschaftlich zwischen den Grenzen bewegt. Nicht selten sind es Migranten der zweiten oder gar dritten Generation, die das Verlangen verspüren, sich künstlerisch mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen und dabei keine Scheu zeigen, Grenzen zu überschreiten.
Dabei sind es nicht immer nur freiwillige Migrationen. Die bewegte Geschichte Europas im 20. Jahrhundert und die autoritären Regierungen nicht nur in Polen, der Sowjetunion oder Jugoslawien zwangen viele Menschen, in den Westen zu fliehen und teilweise nie wieder zurückzukehren. Im Exil fanden sie die Freiheit, sich mit ihrer verlassenen Heimat auseinander zu setzten und das auf beeindruckend vielseitige Art und Weise: der polnische Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz wurde nicht müde, die kommunistische Regierung in seiner Heimat zu hinterfragen, der russische Regisseur Andrej Tarkowskij schuf im Exil in Italien einen semi-autobiographischen Film über die Sehnsucht nach der Heimat und der bosnische in Deutschland lebende Schriftsteller Saša Stanišič, der als Kind vor dem Balkankrieg geflohen ist, thematisiert in seinem Werk nicht nur eine vergangene Kindheit an einem Ort, den es so nicht mehr gibt.