Neue Perspektiven der Weisheitsforschung - Gert Scobel - Universität Hamburg
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Neue Perspektiven der Weisheitsforschung
Weisheit: Alte Traditionen, wieder aktuell
Weisheit ist ein Thema, das Menschen in allen Kulturen und Religionen seit jeher beschäftigt hat. Es gibt in vielen Kulturen Übereinstimmung darüber, wer für weise gehalten wird: Weisen wird zugeschrieben, dass sie sich selbst und andere auf einer tieferen Ebene verstehen, gelassen und besonnen sind und anderen Menschen mit Wohlwollen begegnen. In den buddhistischen Traditionen ist Weisheit ein zentrales Element. Die Buddhas gelten als Verkörperung der Weisheit. Durch das Erkennen der Wirklichkeit und der abhängigen Natur der Phänomene lässt sich der zu Anhaften und Leiden führende Charakter des samsarischen Geistes durchschauen. Es wird eine Vielzahl meditativer Übungen gelehrt, um Leiden und Leidensursachen mit Hilfe von Weisheit zu überwinden. Manche dieser Praktiken werden auch im Westen in einem säkularen Kontext weitergegeben, etwa Achtsamkeit, Vipassana oder Zen.
Seit einigen Jahren rückt das Thema in den Fokus gesellschaftlichen Interesses. Meditation als Methode, Weisheit zu entwickeln, wird neurowissenschaftlich erforscht. In Studien zur Achtsamkeitspraxis konnte nachgewiesen werden, wie sich Körper und Geist verändern, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit nach innen richten. Festgestellt wurde z. B. der Abbau von Stresshormonen, der Aufbau von grauer Substanz im Gehirn sowie subjektiv bei den Praktizierenden mehr Klarheit, Ruhe und Wohlbefinden.
Interdisziplinäre Kongresse widmen sich der Neuroplastizität, also der Fähigkeit des Gehirns, sich bis ins hohe Alter hinein zu verändern, und erörtern die Natur des Bewusstseins und die Möglichkeiten, Bewusstsein zu schulen.
In der Psychologie gibt es den relativ neuen Zweig der empirischen Weisheitsforschung. Sie geht der Frage nach, welche Kompetenzen man braucht, um mit den großen Problemen des Menschseins umzugehen. Weisheit wird als ein wesentlicher Faktor von Resilienz angesehen.
Die sogenannten Weisheitstherapien stärken die Qualität, schwierige Lebenssituationen gut zu bewältigen. Sie vermitteln Fähigkeiten, die auch im Buddhismus eine Rolle spielen, z. B. Perspektivwechsel, Empathiefähigkeit und Emotionsregulation, also eigene Gefühle erkennen und differenzieren zu können. Erfahrungen mit Patienten zeigen, dass nach einem solchen Training Lebensfragen „weiser“ beurteilt werden.
Die Weisheitsforschung hat sich aus der Lebensspannenforschung und Gerontopsychologie entwickelt. Der deutsche Entwicklungspsychologe und Gerontologe Paul Balthes (1939–2006) war auf diesem Gebiet weltweit führend. Mit der voranschreitenden Alterung der Bevölkerung stellte er die Frage, welche positiven Entwicklungspotenziale das Alter hat und ob alte Menschen auch weise Menschen sind bzw. worin die Weisheit des Alters liegen könnte.
Die Vortragsreihe spannt den Bogen von den buddhistischen Weisheitstraditionen zu den neuen Ansätzen, Weisheit in der westlichen Gesellschaft zu verankern. Es geht um die Fragen: Welche Wege gibt es, das Leben zu meistern? Welche Eigenschaften kennzeichnen weise Menschen und wie kann man Weisheit erlernen?
Die Vorlesung ist eine Kooperationsveranstaltung des Numata Zentrum für Buddhismuskunde der Universität Hamburg mit dem Netzwerk Ethik Heute.