Dörte Lerp : Grenzräume, territoriale Bevölkerungspolitiken und die Verwaltung von Differenz - Dr. Dörte Lerp - Universität Hamburg
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- Crossing Borders: Aktuelle und historische Perspektiven auf die Verwaltung und Kontrolle von Migration
Videokatalog
Dörte Lerp : Grenzräume, territoriale Bevölkerungspolitiken und die Verwaltung von Differenz
Crossing Borders: Aktuelle und historische Perspektiven auf die Verwaltung und Kontrolle von Migration.
Eine gemeinsame Vortragsreihe der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg(FZH) und des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS)
Dörte Lerp (Universität Köln): Grenzräume, territoriale Bevölkerungspolitiken und die Verwaltung von Differenz
Um 1900 wurden die politischen Verhältnisse in Deutschland von einem Spannungsverhältnis zwischen imperialer Expansion und nationaler Homogenisierung geprägt. Mit Schleswig-Holstein, Elsass-Lothringen und den ehemals polnischen Ostprovinzen gehörten Regionen zum deutschen Staatsgebiet, deren Einwohner und Einwohnerinnen zwar die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, die sich jedoch nicht notwendigerweise der deutschen Nationalität zugehörig fühlten. Hinzu kam, dass sich das Kaiserreich seit etwa Mitte der 1880er Jahre zunehmend vom Aus- zum Einwanderungsland entwickelte, vor allem für Arbeiter und Arbeiterinnen aus den von Russland und Österreich besetzten polnischen Teilungsgebieten. Darüber hinaus verfügte es zeitgleich über Kolonien in Afrika und dem Pazifik. Etwa zwölf Millionen Menschen unterstanden deutscher Herrschaft, denen –als „Eingeborene“ klassifiziert – weder die Möglichkeit der Zugehörigkeit zur deutschen Nation noch das Anrecht auf Staatsbürgerschaft zuerkannt wurde. Während also die imperiale Expansion die Heterogenität innerhalb des Reiches verstärkte, produzierte das Ideal der nationalen Homogenität zunehmend Ausschlüsse.
In dem Vortrag soll dieser Ausschlussprozess am Beispiel der Migrationsregime in den östlichen Provinzen Preußens und der Kolonie Deutsch-Südwestafrika verdeutlicht werden. In beiden imperialen Grenzräumen waren die Deutschen in besonderem Maße auf die Arbeitskraft von polnischen Landarbeitern und Landarbeiterinnen aus Russland und Galizien, bzw. Damara, Nama und Herero angewiesen. Diese Gruppen mussten zu einem hohen Grad mobil sein, um sich den Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen zu können. Gleichzeitig verringerte aber ihre Mobilität die Kontrolle der Arbeitgeber über sie und unterminierte so den Herrschaftsanspruch der deutschen Bevölkerung.
Um den Konflikt aufzulösen, entwickelten die Behörden ab 1900 ein System aus Pässen, Dienstbüchern und Migrationsbeschränkungen, das die Teilhabe von Nicht-Deutschen am Arbeitsmarkt ermöglichte, zugleich jedoch ihre Kontrolle und ihren dauerhaften Ausschluss aus der Nation gewährleistete. Arbeiter und Arbeiterinnen ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurden so zu Menschen zweiter Klasse, deren Existenzbedingung allein auf ihrer Arbeitskraft beruhte. Diese wurde wiederum nicht an den individuellen Fähigkeiten, sondern an biologistischen Zuschreibungen festgemacht, was eine Ethnisierung des Arbeitsmarktes zu Folge hatte.