Soziale Ungleichheit als strukturelles Problem | Dies Academicus der Fakultät für Erziehungswissenschaft - Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Prof. Dr. Claus Krieger, Sinah Mielich - University of Hamburg
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16.01.2024
Soziale Ungleichheit als strukturelles Problem | Dies Academicus der Fakultät für Erziehungswissenschaft
Am Dienstag, den 16.01.2024 fand in der Zeit von 13-20 Uhr der Dies Academicus der Fakultät für Erziehungswissenschaft zum Thema „Zur Überwindung der sozialen Ungleichheit – Antworten aus der Erziehungswissenschaft“ statt. Die regulären Lehrveranstaltungen an der Fakultät entfielen zugunsten des Dies Academicus.
Der Dies wurde mit einem Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Christoph Butterwegge zum Thema „Soziale Ungleichheit als strukturelles Problem“ eröffnet. Daran schloß sich eine Phase mit verschiedenen Workshops zu Themen wie Entstigmatisierung, Engagement für Bildungsgerechtigkeit, BAföG, Schulentwicklung, politische Bildung und weiteren an. Der Tag wurde abgerundet mit einer gemeinsamen Abschlussdiskussion sowie einem Ausklang mit Kulturprogramm.
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»Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.«
(Bertolt Brecht)
Die Überwindung der sozialen Ungleichheit ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit (vgl. die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) 1 Keine Armut und 10 Weniger Ungleichheiten).
Weltweit leben laut Weltbank rund 700 Millionen Menschen in extremer Armut. In Deutschland sind 14,1 Millionen Menschen (Stand 2022) von Armut betroffen. Wie eine Erhebung des Fachschaftsrats Sozialwissenschaften Anfang 2023 unter Studierenden der Uni Hamburg zeigte, leben 72% aller Studierenden der Uni Hamburg unterhalb der Armutsgrenze. Gleichzeitig flossen laut Oxfam in den Jahren 2020 und 2021 81% des erwirtschafteten gesamten Vermögenszuwachses an das reichste Prozent der Bevölkerung. Die Mitglieder der Universität gehören nicht zu den 1%.
Armut ist ein strukturelles Problem, das jedoch nicht selten als individuelles Problem und als Leistungsversagen betrachtet wird. Verstärkt wird dies noch, da prekäre Lebensbedingungen in der Regel verbunden sind mit Einschränkungen der gesellschaftlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Diese strukturellen Bedingungen stellen eine Herausforderung sowohl für außerschulische Bildung als auch für den Anspruch an Schule dar, dazu zu befähigen „an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“ (Hamburgisches Schulgesetz § 2, Abs. 1).
Für die Erziehungswissenschaft ergeben sich u.a. folgende Fragen: Wie lassen sich Bildungsprozesse in Studium und Lehre so gestalten, dass sich für die Überwindung der strukturellen Ursachen von Armut qualifiziert werden kann? Wie kann die soziale Öffnung der Bildungseinrichtungen vorangetrieben werden? Wie kann die soziale Lage der Bildungsbeteiligten verbessert werden?
Nach einem Auftaktvortrag von Christoph Butterwegge werden diese und weitere Fragen in verschiedenen Workshops sowie einer Abschlussrunde diskutiert. Der Dies endet mit einem Kulturprogramm und informellen Gesprächen bei Getränken und Snacks.
Programm:
13:15 Uhr Begrüßung und Eröffnung
13:30 Uhr Eröffnungsvortrag: Soziale Ungleichheit als strukturelles Problem (Prof. Dr. Christoph Butterwegge)
Seit geraumer Zeit ist die wachsende Ungleichheit das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der gesamten Menschheit. Erwachsen daraus im globalen Maßstab ökonomische Krisen, ökologische Katastrophen sowie Kriege und Bürgerkriege, die wiederum größere Migrationsbewegungen nach sich ziehen, sind hierzulande die Demokratie und der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet. Während die Armutsbetroffenen kaum noch an Wahlen teilnehmen, wodurch eine Krise der politischen Repräsentation entsteht, verlieren Mittelschichtangehörige, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, das Vertrauen in die etablierten Parteien, wodurch Rechtspopulisten und Rechtsextremisten zusätzlich Auftrieb erhalten. Wer sehr reich ist, ist auch politisch einflussreich, was dazu führt, dass Hochvermögende und Wirtschaftslobbyisten ihre Interessen auf undemokratische Weise durchsetzen können.
Es wird nicht bloß thematisiert, was unter den Schlüsselbegriffen „Ungleichheit“, „Armut“ und „Reichtum“ zu verstehen ist, welche Ursachen die soziale Polarisierung hat und weshalb sich diese zuletzt verschärft hat, sondern auch, was getan werden muss, um sie zu beseitigen.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher „Kinder der Ungleichheit. Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt“ und „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“ veröffentlicht.
15:15 Uhr Pause
15:45 Uhr Workshops
Workshop 1: Werden soziale Ungleichheiten durch die Digitalisierung im Bildungsbereich zementiert oder eingerissen? (Eric van der Beek, Raum 06)
Digitale Technologien sind tiefgreifend mit den Praktiken des Lehrens und Lernens und mit der Verwaltung von Bildungsprozessen verflochten. Medienkompetenz ist vor diesem Hintergrund zu einer zentralen Anforderung für alle Akteure im Bildungssystem geworden. Im Workshop wird ein multidisziplinärer Blick auf die Digitalisierung im Bildungssystem entwickelt und die Frage diskutiert, welche Rolle die Digitalisierung vor den wachsenden Ungleichheiten im Bildungssystem zukommt.
Eric van der Beek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Digitalisierung in der Bildung der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Seine Schwerpunkte sind die Mediensozialisation in Kindheit und Jugend und Medienbildung in der digitalen Gesellschaft.
Workshop 2: Praxisnah für Bildungsgerechtigkeit: Einblicke in das JEA! Programm in Hamburg (Alina Gerckens, Marleen Broszeit & Marla Kiefer, Raum 08)
Jährlich verlassen in Hamburg 700 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Der gemeinnützige Verein SchlauFox e.V. setzt sich dafür ein, diese jungen Menschen in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen. Mit dem Programm JEA! bietet der Verein ein wöchentliches Coaching über je 2 Jahre an, bei dem Studierende die Schüler:innen ehrenamtlich auf ihrem Weg zum ersten Schulabschluss begleiten. Genaueres zu JEA! möchten wir euch in diesem Workshop vorstellen. Anhand dessen wollen wir diskutieren:
Wie können wir praktisch dazu beitragen, negative Glaubenssätze sowie internalisierte Stigmatisierung abzubauen, ohne strukturelle Benachteiligung zu individualisieren oder gar zu pathologisieren? Und welche nachhaltigen Wirkungen kann JEA! tatsächlich erzielen? (Wo) stößt außerschulische Intervention im System Schule an ihre Grenzen?
Alina Gerckens, Marleen Broszeit und Marla Kiefer studieren Erziehungs- und Bildungswissenschaft und sind tätig bei SchlauFox e.V.
Workshop 3: Schulen in sozial benachteiligten Lagen ≠ schlechte Schulen (Silke Reindl, Raum 105)
Die auf sozialräumlicher Ebene beobachtbare Segregation verschärft sich häufig noch auf Ebene der Institution, was zur Herausbildung von "Schulen in sozial benachteiligten Lagen" führen kann. Durch den Ruf, welcher Schulen in sozial benachteiligten Lagen vorauseilt, ergeben sich für diejenigen Schüler:innen, die sie besuchen, zusätzliche Benachteiligungsrisiken.
Schul- und Unterrichtsentwicklungsprojekte zeigen jedoch, dass "Schulen in sozial benachteiligten Lagen" nicht automatisch "schlechte Schulen" sind. Im Rahmen des Workshops wird ein Einblick in ebensolche Projekte gegeben. Darüber hinaus soll diskutiert werden, auf welche Weise soziale Ungleichheit in Schule und Unterricht thematisiert werden kann, um der Gefahr von Stigmatisierung entgegenzuwirken und die (gemeinsame) Handlungsfähigkeit zu stärken.
Silke Reindl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Religionspädagogik der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Sie beschäftigt sich mit der Bedeutung von Religion im Schul- und Unterrichtsalltag an Schulen in sozial benachteiligten Lagen.
Workshop 4: „BAFÖG für alle“ - Kämpfe um die Verbesserung der sozialen Lage der Studierenden (mit Aktiven aus der "BAföG für Alle" – Kampagne, Raum 05)
Gute Studien- und Lebensbedingungen schaffen Muße und Souveränität für kritisches Denken und produktiven Disput. Sie ermöglichen demokratische Teilhabe an der Gestaltung des Gemeinwesens und sind auch ein Beitrag zur Überwindung der gesellschaftlichen Krise. Doch die Lebens- und Studienbedingungen der allermeisten Studierenden sind aktuell prekär, wie auch die aktuelle 22. Sozialerhebung des Studierendenwerks und die Studie des FSR Sozialwissenschaften zur sozialen Lage der Studierenden in Hamburg Anfang 2023 zeigt: So leben 72% der Studierenden der Uni Hamburg unterhalb der Armutsgrenze.
1972 wurde durch studentische Aktivitäten erreicht, dass das BAFöG als Vollzuschuss eingeführt wurde; für eine sozial-geöffnete Uni, an der alle gut studieren können sollten, um durch Wissenschaft zur Verbesserung der Gesellschaft beizutragen. Doch das BAFöG steht heute den allermeisten Studierenden nicht zur Verfügung und befindet sich gegenwärtig u.a. wegen der steigenden Militärausgaben unter Kürzungsdruck.
Anknüpfend an die Geschichte von studentischen Kämpfen wollen wir in dem Workshop diskutieren, wie wir heute zu einem „BAFöG für Alle” – als Vollzuschuss, alters-, eltern- und herkunftsunabhängig und in Höhe der realen Lebenshaltungskosten – kommen. Was sind bildungspolitische und sozialökonomische Argumente für ein „BAFöG für Alle”? Was sind Hindernisse, die dem entgegenstehen und wie können wir diese überwinden?
Workshop 5: Through Their Digital Eyes: Adding to the Subtracted Space (mit Prof. Dr. Christopher Ashely Burkett, Raum 106)
Many young Black people live in environmentally toxic neighborhoods. Their dwelling in these places creates amplified levels of noxious strain which adversely impacts the mental health help-seeking experiences (MHHSE). This determines their need for, access to, and use of mental health help.
The research program Through Their Digital Eyes: Adding to the Subtracted Space presents one tool that can further explain the mental health narratives of this group. Specifically, the researcher proposes conducting a participatory photo-based examination to increase the involvement of Black teenagers in local and global environmental plus economic sustainability initiatives.
The digital image has become an inextricable part of our lives. Young kids readily use them to converse with each other through a habitual capturing and sharing of pictures (e.g., social media platforms or texting). This very accessible form of art, communication and expression can assist the focal population with understanding the various complex environmental and financial stressors that they encounter while residing in communities affected by harmful pollution, depleted resources, along with economic insecurity. The knowledge gleaned from this project shall be useful for school-based mental health practitioners (e.g., psychologists, psychiatrists, social workers, counselors, etc.) or other instrumental professionals with developing more comprehensive strategies that help in comprehending, reframing, and mending the MHHSE of (Black) teenagers.
# The workshop will be held in English. #
Prof. Dr. Christopher Ashely Burkett is an assistant professor within the School of Social Work at California State University, Long Beach. His focus is on using photo-based participatory methods to expose those ecological, economic, and socio-cultural determinants for the mental health (help-seeking) experiences of under-resourced pre-adolescent Black American children.
Weitere Workshops sind in Planung!
17:15 Uhr Pause
17:30 Uhr Abschlussdiskussion (Raum 05)
Wie können Bildungsprozesse für die Überwindung struktureller Ursachen von Armut gestaltet werden? Wie kann die soziale Lage der Bildungsbeteiligten verbessert werden?
19:00 Uhr Gemeinsamer Ausklang mit Kulturprogramm
(Foyer Von-Melle-Park 8 und Raum 05)
Kontakt
Fakultät Erziehungswissenschaft
Florian Muhl
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