(e)Portfolio: Ökonomisierung des Selbst und Technik der Selbstsorge / Ringvorlesung "Medien und Bildung": Kontrolle und Selbstkontrolle in Bildungsprozessen - Stephan Münte-Goussar - University of Hamburg
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(e)Portfolio: Ökonomisierung des Selbst und Technik der Selbstsorge / Ringvorlesung "Medien und Bildung": Kontrolle und Selbstkontrolle in Bildungsprozessen
Portfolio bezeichnet im Bildungsbereich eine Kollektion von Nachweisen über eigene Stärken, kommentierten Lernleistungen und Zertifikaten. Es dokumentiert eine lebenslange Kompetenzentwicklung, unterstützt aber insbesondere selbstgesteuerte Lernstrategien, deren Reflexion und Selbstbeurteilung. Gerade in seiner Variante als ePortfolio ist es untrennbar mit jener social software des so genannten web 2.0 verbunden. Das ePortfolio ist die pädagogische Variante jener neuen Formen authentischer Selbstthematisierung, ‑führung und -darstellung, welche das web 2.0 auszeichnen. Es reizt dabei Kompetenzbilanzierung ebenso an, wie es zugleich einzigartige Kreativität und persönliche Passion zu aktivieren verspricht. Ähnlich wie das web 2.0 in seiner Selbstbeschreibung die ursprünglichen Utopien, die basisdemokratischen Partizipations- und Emanzipationsverheißungen des Internets revitalisiert und für sich reklamiert, greift auch der pädagogische Portfolio-Diskurs auf reformpädagogisch inspirierte Legitimationsfiguren zurück: Selbstbestimmung, Mündigkeit, Autonomie, Freiheit. Dabei wird aber Selbstbestimmung als Selbststeuerung reformuliert und klassisches Bildungsdenken in kybernetischen oder konstruktivistischen Varianten der Selbstorganisation aufgelöst. Begriffe wie Autonomie, Kreativität und Authentizität und die auf ihnen aufsitzenden kritischen Freiheitsdiskurse werden von den Rechtfertigungssystemen funktionalistisch-regulativer Diskurse absorbiert und Autonomie kaum merklich in kontrollierte Autonomie überführt. Am Beispiel des ePortfolio lassen sich die seichten Übergänge nachzeichnen, die von einer aufgeklärt-humanistischen, an der Ermächtigung der Subjekte interessierten Pädagogik und Wissenstechnik hin zu einer neoliberalen Technologie des Selbst führen, die die Subjekte als Selbst-Unternehmer anruft, als eigenverantwortliche Manager und Marketing-Chefs ihrer Potenziale und Ressourcen, welche sie als ihr individuelles Humankapital in eine kreativ-industrielle Wissensgesellschaft einbringen.